Zur Entstehung des Haager Landes von Dr. phil. P. Placidus Molterer 1956
EINFÜHRUNG :
DIE LANDSCHAFTSFORMEN
Im westlichsten Teile des niederösterreichischen Alpenvorlandes, dort, wo die Sandsteinberge der Alpen und die Mühlviertler Berge sich bis auf rund 20 km nähern, liegt das Gemeindegebiet von Haag. Eine ungefähr durch den Verlauf des Haager Baches markierte Linie trennt hier zwei Landschaftsformen, die in ihrer Gegensätzlichkeit viel zur schlichten Schönheit des Gebietes beitragen.
Nördlich bis östlich dieser Linie herrscht die Riedellandschaft vor mit ihren engen, oft tief eingeschnittenen und verzweigten Tälern, wie sie noch ausgeprägter im eigentlichen Strengberggebiet vorhanden ist, wo die Bundesstraße als förmliche „Berg- und Talbahn" eine aneinanderschließende Reihe von Bergen, bzw. Erhöhungen zu bewältigen hat. Der Fernblick von jenen Höhen (z. B. vom Hummelberge-Pfusterschmied, 369 m) ist überaus eindrucksvoll: über den sanft geschwungenen Rücken der Sandsteinberge ragen die Bergschneiden und Steilhänge der Kalkalpen empor, die wie eine lang hingezogene Kulisse am Horizont sichtbar sind.
Südlich jener Grenzlinie aber breitet sich eine Ebene aus, die in einer durchschnittlichen Höhe von 350 m von der Enns bis unterhalb Aschbach zieht und deren Waldreichtum namentlich gegen die Enns zu (Ennswald-Haager Wald) der Landschaft einen ruhigen, wenn nicht geradezu ernsten Charakter verleiht.
Dieser Gegensätzlichkeit der beiden Bodenformen im Haager Raume wird sich auch der Wanderer bewusst, der nun von Süden her, von einem der Sandsteinberge aus (z. B. St. Michael, 558 m), das Alpenvorland überblickt : vor ihm die Ebene, an deren Nordrand einige höhere, wenn auch flache Kuppen der Riedelberge, wie der Dirnberg bei St. Johann in Engstetten (406 m), der Markstein östlich von Haag (413 m) u. a. sich abzeichnen.
Obwohl allein schon der gleichmäßige Verlauf jener Ebene auf ihre einheitliche Entstehung hindeutet und andererseits der Höhenunterschied zwischen Ebene und Hügelland den Gedanken nahelegt, dass beide Bodenformen verschiedenen Alters, ja auch verschiedener Entstehungsweise sind, scheint es dennoch geboten, den Aufbau beider genauer zu verfolgen und auch die Ergebnisse moderner Aufschließungsverfahren - Seismik und Tiefbohrung - zu berücksichtigen, um so das Bild ihres erdgeschichtlichen Entwicklungsganges zu erhalten.
Dabei seien drei grundsätzliche Erwägungen vorangestellt. Erstens: So wie ein Organ des menschlichen Körpers Teil des Ganzen ist und Bau wie Tätigkeit des Teiles nur vom Ganzen her verständlich wird, so ähnlich verhält es sich auch mit der heimatlichen Landschaft. Sie ist Teil eines größeren Ganzen, so dass es nottut, räumlich und auch zeitlich weiter auszuschauen, den Rahmen weiter zu spannen, um dann zurückkehrend die Heimat besser zu verstehen.
Und ein Zweites : Wir bekennen uns dabei zum Grundsatz des großen Geologen Charles Lyell: "Ich nehme die Dinge, wie sie gegenwärtig sind, und schließe aus ihnen, wie es einst gewesen sein muss" Ein Vergleich mit den heute direkt beobachtbaren Naturvorgängen wird die Veränderungen in der geologischen Vorzeit, die Entwicklungsgeschichte des Landes, zumindest verdeutlichen können.
Die Wegweiser endlich auf dem Wege durch die Erdgeschichte des Landes sind naturgemäß anderer Art als die der Menschheitsgeschichte. Ihre Zeugen und Urkunden sind das Gestein, sei es harter Fels oder weicher Ton, und seine Lagerung, sowie die im steinernen Archiv eingeschlossenen Pflanzen- und Tierreste, die dem Erdforscher als Leitformen (Leitfossilien) die zeitliche Bestimmung der Schichten ermöglichen.