VORWORT
Dieses Buch verdankt seine Entstehung dem verstorbenen Staatsarchivdirektor i. R. Dr. Edmund Friess und dem Orte Seitenstetten.
Als ich im Jahre 1948 als junger Mittelschullehrer für Deutsch und Geschichte an meine geliebte Studienanstalt, an das öffentliche Stiftsgymnasium der Benediktiner zu Seitenstetten, kam, wurde ich bald mit dem erblindeten Dr. Friess bekannt, der damals in Seitenstetten wohnte. Gleich einem Beethoven, dem die zunehmende Störung seines Gehörsinnes erst recht die letzte Reife seiner Kunst gebracht hat, ließ sich auch Dr. Friess vom Versagen des Augensinnes nicht an weiteren wissenschaftlichen Arbeiten hindern. An siebzig größere und kleinere Arbeiten aus dem Gebiete der Wirtschafts-, Kultur- und Ortsgeschichte hatte er verfasst, und noch immer strebte er, ganz im Banne der Geschichtsforschung, weiter.
Er äußerte den Wunsch, mit mir wissenschaftlich zu arbeiten. Wir einigten uns bald: er, der Waidhofner und Ybbstaler, und ich, der gebürtige Haager, wollten die Geschichte Haags erforschen und niederschreiben. Der Entschluss stand im November 1949 fest und war gewiss eine freundliche Geste des erfahrenen Forschers mir, dem Haager, gegenüber. Von Anfang an hatte die Stadtgemeinde Haag unter dem Herrn Bürgermeister Sturm lebhaftes Interesse an dieser Arbeit, wodurch sie immer wieder gefördert wurde.
Als Meister der Forschung hat Dr. Friess mich auf alle Quellen gewiesen; ich las sie ihm vor und wir besprachen sie kritisch. So lernte ich unendlich viel von ihm. Wir hatten bereits die Quellen zur mittelalterlichen Geschichte Haags gesammelt, das Kapitel über den Bauernaufstand druckreif gemacht und waren an die Durchsicht der Pfarrmatriken geschritten, als Dr. Friess im Frühjahre 1952 in seine Heimatstadt Waidhofen an der Lobbys übersiedelte. Nun gab es viele Pausen in der Arbeit; die örtliche Trennung hinderte uns sehr an unserem Vorsatze, nicht bloß die Quellen gemeinsam zu erforschen, sondern auch jeden Satz für den Druck gemeinsam zu formen.
Dr. Friess starb am 8. Februar 1954 im 70. Lebensjahre. Es war für mich selbstverständlich, das gemeinsam begonnene Werk zu Ende zu führen. Als treuer Schüler setzte ich in des Meisters Art die Quellenstudien fort. Hierin wurde ich sehr von Herrn Rudolf Kaiserreiner, (Haag), vom Herrn Stadtamtsdirektor Brandstetter und vom hochwürdigen Herrn Pfarrer Pragerstorfer unterstützt. Ihnen allen gebührt mein Dank. Im Juli 1955 ging ich daran, das Buch in seinem Texte zu gestalten, und setzte mir die eine Richtlinie: für das Volk verständlich zu erzählen, alles rein Fachliche zu erklären, aber dennoch streng wissenschaftlich zu bleiben und neue Behauptungen zu beweisen. (Quellennachweise nach dem Text.) Da die Geschichte Haags in älteren Zeiten gleichlaufend ist mit der des weiteren Umkreises, beginnt dieses Buch mit der Geschichte des Lorcher (=Ennser) Gaues, engt die Darstellung dann auf die Siedlungen im eigentlichen Ennswald und schließlich ganz auf die Entwicklung der Stadt Haag ein. Ich wollte damit auch das Bedürfnis nach einer Besiedlungsgeschichte des westlichen niederösterreichischen Mostviertels wenigstens teilweise befriedigen.
Auch die Erdgeschichte sollte nach dem Willen des Herrn Dr. Friess zu Worte kommen. Ich bat daher Professor Dr. P. Placidus Molterer, darüber ein Kapitel zu schreiben, und ich danke ihm von Herzen, dass er eine so gründliche Arbeit unserem Haager Buch als Anhang zur Verfügung gestellt hat. Mein letzter und ganz großer Dank sei der Stadtgemeinde Haag ausgesprochen: sie hat unter großen Opfern das Werk in Druck gegeben und so fein ausgestattet! Möge das Buch den Bewohnern Haags und allen, die es lesen, eine stille Freude und Bereicherung bereiten! Möge es mithelfen, die Liebe zur Heimat und ihrer Vergangenheit wachzuhalten!
Seitenstetten, am St. Michaels-Tag 1956.
DR. ERNST WERNER