Haus-Chroniken von Haag

Nach Katastralgemeinden - von damals bis heute

DIE HERREN IM ENNSWALD

a) Besitzverhältnisse in der Karolingerzeit

Welchen Grundherren nun eigentlich das Gebiet des Ennswaldes gehörte, nachdem Karl der Große den Boden vor feindlichem Raub gesichert hatte, wäre für uns äußerst aufschlussreich Allein da ergeht es uns wie einem Flieger, der ein Land erkunden will, über dem eine schwere Wolkendecke liegt. Nur für kleine Strecken klärt sich die Sicht, wie durch schmale Fensterchen blicken wir durch die jüngeren Schichten auf die älteren Verhältnisse, Wohl gehörte nach altem fränkischen Rechte alles eroberte herrenlose Land dem König. Aber bei weitem nicht alles Land zwischen Enns und Ybbs war herrenlos.

Lückenhafte Forschung

Da gab es ja schon die alten bayrischen Siedler, die trotz der völligen Zerstörung Lorchs durch die Awaren im Jahre 700, trotz der Ungesichertheit ihrer wirtschaftlichen Existenz seither von ihren Höfen nicht ließen und immer wieder frische Saaten den Ennswaldfluren anvertrauten, wenn auch andere überfallsartig die Ernte davontrugen. Neben ihnen und mit ihnen verbündet saßen die Slawen. Es dürfte ihnen allen aber doch nicht sehr lange gelungen sein, freie Bauern zu bleiben. Die hohen wirtschaftlichen Anforderungen, die an den zum Militärdienst verpflichteten freien Mann gestellt wurden, werden auch sie bald in die Abhängigkeit eines Herren gebracht haben. Innerhalb eines Jahrhunderts von 800 bis 907 kommt es soweit, dass fast das ganze Land um den Ennswald aufgeteilt ist auf vier Gruppen von Grundeigentümern, die allerdings ihren Grund als Lehen zum größten Teil wieder an Bauern vergeben hatten. Wir müssen daher strenge unterscheiden zwischen dem Grundherrn, dem das Landstück zu eigen gehört, dessen Eigentum es ist und der deshalb auch die Grundherrschaft ausübt, und dem auf diesem Grund und Boden nun tatsächlich arbeitenden, darauf sitzenden Bauern, der solchen „Besitz" freilich nur zur Leihe und Pacht, als Lehen eben, in Nutzgenuss hat und dafür den Zehent und die Robot an den Grundherrn leisten muss.

Die Grundherren

Nur wenige Urkunden berichten uns nun leider von diesen Grundherren, von ihren Lehensleuten erzählt uns keine einzige. Und selbst die wenigen Urkunden sind nicht alle echt; sie sind meist in einer späteren Zeit, als sie im Texte angeben, entstanden und sollen das Recht auf Eigentum erst nachträglich beweisen. Dennoch sind sie, was ihre Angaben und den Inhalt der Urkunden betrifft, zum größten Teile durchaus verlässlich, aus vergilbten Texten entnommen oder den eben tatsächlich vorhandenen Bestand an Eigentum aufzeigend. Einige von ihnen bezeichnen ausdrücklich den weiten Umkreis von Haag mit dem Namen „Ennswald" und bekunden somit, dass dies in der Karolingerzeit der übliche Name für unser Gebiet geworden ist, Die vier Gruppen von Grundherren in Österreich unter der Enns waren nun:

1. Der König, der immer wieder seine königlichen Hufen großzügig an Klöster und Bischöfe verschenkte. Eine solche Hufe machte 28 bis 32 Hektar aus.

2. Die Bischöfe von Passau und Salzburg, östlich der Ybbs auch die von Regensburg. Sie erhielten entweder persönlich oder auch für das Bistum (Hochstift) Grund geschenkt.

3. Die Klöster von Niederalteich, Metten, Kremsmünster, später auch das von Tegernsee. Sie erhielten ihre Schenkungen von Königen oder Hochfreien, Adeligen, stellenweise auch von freien Bauern, während ihnen untertänige Bauern natürlich nur mit Erlaubnis des Grund- und Lehensherrn Äcker und Wälder übertragen durften.

4. Der hochfreie Adel selbst, darunter der Markgraf und die Gaugrafen.

Karl der Große wusste, dass im Grunde genommen erst das Kreuz den Boden fruchtbar machte, den sein Schwert binnen kurzer Zeit erobert hatte. Kreuzträger waren vor allem die Mönche aus dem Orden des heiligen Benedikt; gemäß ihrem Grundsatze „Bete und arbeite" führten sie auch den Pflug übers neugewonnene Land.

Besitz Nieder-Altaichs

Daher beschenkte Karl das bayrische Kloster Nieder-Alteich, das die Benediktinerväter im Jahre 741 unweit von Passau gegründet hatten, mit liegenden Gütern zwischen Enns, Donau, Ybbs und Url. Das geschenkte Landstück hatte seinen Namen nach dem darin fließenden Bache, dem „Scalkobach". Frühere Forscher verstanden darunter wegen der verlockenden Namensähnlichkeit einen bei Salaberg vorbeifließenden Bach, tatsächlich ist aber damit der Engelschalkbach gemeint, der bei Neustadtl in die Donau mündet und im Ennswald (silva Anesi) zwischen Enns, Url und Donau liegt, so wie es in der Urkunde (Bestätigungsurkunde König Ludwigs des Deutschen aus dem Jahre 863) heißt, Außerdem erwähnt der Text der Urkunde noch die Gegend um einen „Cidalaharibach", die gleichfalls dem Niederalteicher Klostergute zugehören sollte; wir erkennen in ihm den nordöstlich von Zeillern fließenden Zeidlbach. Berichtet uns die Urkunde auch nichts von Haag, so ist sie uns trotzdem wertvoll als Markierung, wieweit sich der Name „Ennswald" überhaupt erstreckte.

Passauer Besitz

Aschbach und Ardagger mit zwei Kirchen, darunter wahrscheinlich Stephanshart, gerieten durch Karls Sohn, Kaiser Ludwig den Frommen, an den Bischof von Passau (unechte Urkunde vom 28. Juni 823). An dieses Gebiet schließt sich im Westen eine Schenkung an, die Bischof Madalwin im Jahre 903 der Kirche von Passau machte. Es handelte sich hier um zwei verschiedene Güterkomplexe, die „Wolfeswanc" (=Wolfsbach) und Hagewolf hießen. Bei dieser Gegebenheit wollen wir etwas länger verweilen.

Maldwin, Chorbischof von Passau

Madalwin, dem übrigens J. Wagner in der „Ennswaldeiche" ein hervorragendes literarisches Denkmal setzte, war einer jener Chorbischöfe, die zur Unterstützung des Diözesanbischofs Teile des Landes bereisten und hirtenamtlich betreuten. Die Passauer Diözese war ja besonders weitgestreckt und umfasste damals unter anderem ganz Ober- und Niederösterreich über Wien hinaus und bis nach Ungarn hinein. Vermutlich bekam Madalwin als Zentrum seiner chorbischöflichen Tätigkeit Enns-Lorch zugewiesen, womit für die Karolingerzeit der archidiaconatus Laureacensis, das Lorcher Archidiakonat einer viel späteren Zeit, vorweggenommen wurde. Was den Archidiakon freilich vom Chorbischof unterscheidet, ist die volle Weihegewalt des letzteren. Gerade sie war aber damals notwendig, wo der Verkehr sich allein zu Pferd oder auf der Donau mit dem Schiffe vollzog.

Madalwins Herkunft ist uns unbekannt; dem Namen nach könnte er aus fränkischem Adelsgeschlechte stammen. Ganz bestimmt genoss er die Gunst Kaiser Arnulfs aus dem ostfränkischen Zweige der Karolinger (888-899), denn sie erst verschaffte ihm jene Güter, die er urkundlich 903 an Passau weiterschenkte. Madalwin war aber auch ein gelehrter Mann: hinterließ er doch in der erwähnten Urkunde für den Fall seines Absterbens dem Passauer eine stattliche Bibliothek, darunter die Gesetzessammlungen der Franken, Bayern und Alemannen, die Lebensbeschreibung des heiligen Severin, die lateinische Grammatik des Donatus, das bedeutende Werk des Engländers Beda venerabilis, dazu die Schriften des Cassiodor und des Boetius. An die fünfzig Bücher besaß er und das war viel zu einer Zeit, in der ein Mönch, mühsam und kunstvoll die Bücher abmalend, sie vervielfältigte.

Maldwins Besitz um Wolfsbach

Die Güter um Wolfeswanc, die Madalwin von Kaiser Arnulf einst erhalten hatte und die er an Passau weitergibt, werden folgendermaßen abgegrenzt: sie liegen in der Grafschaft des Grafen Arbo (Aribo), erstrecken sich im Osten bis zum Uralfluss und dem Eigenbesitz eines gewissen Hagewolf; im Westen reichen sie bis zum Wald des Ennsflusses und dem Bächlein, das Bach-in-ha genannt wird; im Norden beginnt der Besitz bei der Mark des heiligen Stephanus (Passauer Besitz) und reicht im Süden bis zur Mark des Anio. In der Urkunde heißt das, was wir eben frei übersetzt haben, wortgetreu:

In comitatu Arbonis comitis in loco, qui dicitur Wolfeswanc, cuius terminus ab oriente usque in fluvium Urulam et proprietatem Hagewolfi, ab occidente usque in silvam Anesi fluminis et in fluvium, qui dicitur Bachinha, ab aquilone in marcam sancti Stephani et a meridie in proprietatem Anionis.

Verfolgen wir nun die hier angegebenen Grenzen auf der Landkarte: Ostgrenze ist die Url und das Eigengut Hagewolfs, das natürlich nicht mehr von Madalwin an Passau geschenkt werden konnte, sondern wahrscheinlich einem freien Bauern an der Url gehörte. In der Nähe jener Stelle, wo die Straße Amstetten-Steyr bei der Haltestelle Krenstetten-Biberbach über die Url und den Bahndamm setzt, finden wir heute noch einen Hof Hagbauer, etwa drei Kilometer nördlich davon eine Hagenhub, Restbestände vielleicht jenes Eigengutes Hagewolf, gewiss aber Ostgrenze des Madalwinschen Gutes, da hier für ein kurzes Stück die Url in nordsüdlicher Linie verläuft. Die Süd- und Nordgrenze der Schenkung Madalwins lässt sich wegen des unbestimmten Ausdruckes in der Urkunde leider nicht so genau angeben, wohl aber wieder die Absteckung im Westen. Sie verläuft beim Bach-in-ha, womit nur der Haager Bach gemeint sein konnte. Denn er entspringt ja zwischen Wolfsbach und Haag, am Abhange des Braunsberges, und wendet sich kurz vor Paga in südwestliche Richtung. Vielleicht ist gerade der Name Paga, in alten Urbaren noch Paccha geschrieben, eine Verstümmelung des „Bachinha".

Nennung des Haager Baches als Grenze gegen Wolfsbach

Allerdings ist dieses kleine Wässerlein keine sehr deutliche Grenze und der Schreiber der Urkunde hätte gewiss eine andere Bezeichnung gewählt; er hätte wie im Norden und Süden und schließlich auch im Osten einfach die benachbarten Grundherren angegeben, wenn solche Große wie der Bischof von Passau, die Herren Hagewolf und Anio oder ein Klosterbesitz dagewesen wären. Im engeren Haager Gebiet, soweit er für die Karolingerzeit uns sichtbar in Erscheinung tritt, hatte noch kein Bischof, kein Kloster, aber offenbar auch kein Hochfreier einen nennenswerten Besitz. Nur im südlichen Teil der heutigen Pfarre Haag scheint Grund eines hochfreien Herren zu liegen. Der Name Vorbach, nahe dem Dorfe Rohrbach, deutet auf die edelfreie, gräfliche Familie der Formbacher, die nach Hofrat Lechner zirka 1000 n. Chr. um Weistrach herum Besitzungen hatten. Doch lässt sich daraus noch kein Rückschluss auf das 9. Jahrhundert ziehen. Im Westen der Pfarre Haag wiederum scheint bei Kronsdorf an der Enns Nieder-Alteicher Besitz gewesen zu sein. So sind alle vier Gruppen von Grundherren, der König, Bischöfe, Klöster und Adelige, rund um Haag vertreten.

In Haag kein Grundherr

In Haag selbst waren offensichtlich in der Karolingerzeit höchstens einige freie Bauern sesshaft, keinem Herrn, außer dem König und seinen stellvertretenden Grafen untertan. Ihre Güter wurden als Allode bezeichnet, wobei jedes Allod eine Vollhube ausmachte. Die „Allode" wurden damals schon kurzweg Ode, Öde oder auch Eude genannt, ein Wort, dessen Bedeutung später in Vergessenheit geriet. Es bezeichnete aber nichts anderes als ein freies Eigentum oder einen Schatz und kommt heute noch in zusammengesetzten Hauptwörtern wie in Eigennamen vor:

So heißt Kleinod ein kleiner Schatz, Heimat = Heimod - Heimschatz, eigenes Heim. Auch in einer Reihe von Höfenamen im Pfarrsprengel von Haag finden wir das Wort wieder, so in den Namen Gangelöd (Eigengut des Gangolfs), Sattelöd (Eigentum am Sattel), Kasöd (vielleicht wegen der dortigen Käseerzeugung) und Altenöd, ferner noch in Humpelöd und Spechtöd (heute Humpel und Specht), wie Ziegelöd (Ziegeled). Ja der deutsche Name Eder bedeutet nichts anderes als den Besitzer eines Allods, einer Öde, zum Unterschiede vom Namen Lehner, dem Inhaber eines Lehens.

Für die Weistracher Pfarre wies Hans Blank auf einen aus der Karolingerzeit stammenden Hof namens Unchgesindöd, der offenbar einmal ohne Gesinde bewirtschaftet wurde. In dem Ausmaße nun, in dem der freie Bauer unfrei wurde, auf die Leistung des Kriegsdienstes verzichtete und sich unter den Lehensverband eines Herren stellte, entwickelte sich die Bezeichnung Öd zu einem leeren, unverstandenen Worte, das mitunter wie bei der Humpel- und bei der Spechtöd in Haag sogar wegfiel. Heute könnte man meinen, diese Ödnamen deuten auf das Vorhandensein einer wüsten Einöde, was jedoch nur bei einem menschenleeren Gebiet, keineswegs bei Haag der Fall sein kann.

Haager Gebiete als Einöde

Stimmt das aber auch wirklich? War vielleicht das engere Gebiet um Haag tatsächlich eine einschichtige Waldöde, war nicht das, was heute prangende Flur und wogendes Feld ist, überzogen vom dichten, schattigen Ennswald? Zu diesem Bilde unserer Heimat im 9. Jahrhundert kommen wir unweigerlich, wenn wir die Ödnamen in ihrer zweiten, uns heute näherstehenden Bedeutung nehmen. Ein paar Höfenamen aus Karolingerzeit sagen eben nicht mehr, als dass es einige Gehöfte gegeben hat, gleichgültig ob sie von unheimlich großen Wäldern oder von freundlichen Nachbarn umgeben waren. Es wäre uns dann erst recht erklärlich, wieso der Schreiber der Madalwin-Urkunde Wolfsbach im Westen nicht anders abgrenzen konnte als mit dem Walde des Ennsflusses und einem kleinen Haager Bächlein, das sich vom Braunsberg zur Erla zieht, beides doch äußerst ungenaue Daten. Wo der Wald undurchdringlich stand, da hörte eben der Besitz auf, und dass es in diesem Wald ein paar ausgerodete Oasen gab, in denen einige Leutlein ihr karges Dasein fanden, war nicht weiter interessant. Ringsum wurden Länder vergeben und verschenkt, um dieses Haag im Ennswalde schien sich niemand zu kümmern, so unbedeutend wie sein Bächlein scheint es damals gewesen zu sein.

Auch dass seit der jüngeren Steinzeit der Haager Boden besiedelt war, widerlegt die eben entworfene Ansicht nicht. Was war seither nicht alles geschehen an Verwüstung/ Raub und Zerstörung zwischen 600 und 700 nach Christus! Freilich müssen wir uns eines vor Augen halten: als nach 700 die bayrischen Herzöge und um 800 Karl der Große sich bemühten, das Land Slawonia - so wird damals auch unser von Slawen durchdrungenes und von Awaren oft heimgesuchtes Niemandsland in den Urkunden genannt - mit seinen bayrischen Siedlern als das alte Kerngebiet des bayrischen Stammes doch dem Herzogtume zu bewahren und wiederzugewinnen, konnte dieses Streben nur von der Enns ausgehen und ehe man Wolfsbach gewinnt, muss man an Haag vorbei sein. Wolfsbach aber gab es schon um 820 als bedeutende Pfarre. So musste also auch Haag schon sein?

Vermutlicher Weg der Kolonisation

Auch diese Frage kann nicht gelöst und mit stichhältigen Gründen bewiesen werden. Der Zug der Kolonisation konnte ja von Enns aus donauabwärts erfolgen und erst vom Donauufer und der alten römischen Hochstraße aus landeinwärts gehen, so dass er zuerst Wolfsbach und später dann Haag ergriff, und den Ennswald eröffnend, zur Enns bei Haidershofen zurückkehrte. Dafür spräche die Tatsache, dass es in karolingischer Zeit zu Haag höchstens ein hölzernes Betkirchlein gegeben hat, die nächste und zuständige Pfarrkirche für die Ennswalder Bauern aber Wolfsbach war. Im Betkirchlein konnte ein aushelfender Priester Taufen und Hochzeiten halten, manchmal auch die Messe lesen; zu den hohen Sonn- und Feiertagen hingegen hatte die gläubige Christengemeinde in der Pfarrkirche zu erscheinen, soweit sie es vermochte.

Wer nun aufmerksam all dieses Für und Wider verfolgt hat, Gründe und Gegengründe abwog und ehrlich und unvoreingenommen urteilen will, muss zugeben, dass wir von den paar Tatsachen aus, die uns sicher gegeben sind, zwei ganz verschiedene Bilder gewinnen können: eines vom spärlich besiedelten, undurchdringlichen Ennswald und ein freundlicheres vom Axtschlag und Pflug freier Haager Bauern, die keinem Herren noch untertan. Die Bilder sind so grundverschieden entstanden, weil unser Wissen vom 9. Jahrhundert nur bruchstückhaft ist und die Phantasie angewiesen wird, das Fehlende zu ergänzen. Solange wir nicht grundlegende Tatsachen hinzugewinnen können, durch Neufunde oder Bodengrabungen, wird dies leider so bleiben müssen.

Weitaus klarer sehen wir natürlich die außenpolitischen Verhältnisse während der Karolingerzeit (800-907). Sie gestaltete sich zusehends schlechter; das Erbe des großen Karl wurde zerteilt und zerrissen und das ostfränkische Reich, zu dem Bayern und die Awarenmark gehörten, konnte nach dem Tode seines tatkräftigen Königs Arnulf nicht mehr die neuen Anstürme aus dem Osten abhalten, ihre Siedler in der Mark nicht mehr beschützen. Das wurde auch für die Bauern im Ennswalde verhängnisvoll.

Verfall des Reiches: Völkerstürme

Die Ungarn oder Magyaren, den Awaren verwandt und gleichfalls ein mongolisches Reitervolk, stießen im Jahre 900 über den Ennsfluß vor. Zum dritten Male in der Geschichte, zum zweiten Male seit die Bayern hier sitzen (seit 500), wiederholt sich der Vorgang, dass aus dem ungarischen Raume her ein Ostvolk sich den Weg donauaufwärts bis zur Enns erobert: Attila und seine Hunnen um 450, die Awaren um 700 und nun 200 Jahre später die Magyaren. Sie wurden allerdings bei Linz besiegt und wieder ganz zurückgeschlagen. Um wenigstens den Traungau vor weiteren Vorstößen der Ungarn zu sichern, wurde um 900 die wehrhafte Ennsburg aus den Steinen des ehemaligen Römerlagers Lorch erbaut. Auch der Bau der Styraburg am Zusammenfluss der Steyr und der Enns dürfte nicht viel später erfolgt sein, wie Dr. Ignaz Zibermayr annimmt.

Ein Versuch des bayrischen Herzogs und seines Heeres, auch das unterennsische Gebiet vor den Einfällen der Ungarn zu retten, schlug leider zur Gänze fehl. Denn am 4. Juli 907 vernichteten die Ungarn dieses Heer, in dem wahrscheinlich auch Leute aus der Haager Gegend kämpften, vollständig in der Nähe von Preßburg. Der damalige ostfränkische König, Ludwig, das Kind, konnte nicht helfen; als er im Jahre 911 starb, sank mit ihm das Geschlecht der Karolinger im Ostfrankenreich zu Grabe; und so brachte die militärische Niederlage von 907 nicht bloß den Tod zahlreicher bayrischer Adeliger, darunter den des Herzogs, sondern für unser Volk östlich der Enns auch einen neuen, nicht sehr glücklichen Zeitabschnitt. Der Friede der Karolingerzeit war geschwunden, die Unruhe der Magyarenzeit hatte begonnen (907 bis 955).

Die Magyarenzeit

Freilich dürfen wir uns die Verhältnisse nicht so vorstellen, als ob die Ungarn ständig die von Karl dem Großen gegründete Awarenmark besetzt gehalten hätten. Das taten sie nicht, sie entwickelten auch in den Jahrzehnten ihrer Herrschaft keine Besiedlungstätigkeit in unserem Gebiete. Wir können vielmehr annehmen, dass sich fast durchwegs die alten Siedler und ihre Nachkommen auf ihren Grundstücken und Höfen gehalten haben. Wohl aber dürften sie Plünderungen und Tributforderungen der Magyaren ausgesetzt gewesen sein. So stieß auch der Haager Siedlung wahrscheinlich nicht das Unheil einer totalen Zerstörung zu, wenngleich die ungarischen Eroberer das ganze Land bis zur Enns als ein ihnen gehöriges Gebiet betrachteten. Sie gründeten einige Stützpunkte, wie Walwa (=ungar.: Dorf) am Ybbsfelde und setzten für die deutschen Bauern des Landes einen von ihnen abhängigen deutschen Markgrafen in Pöchlarn ein. Das Nibelungenlied spiegelt diese Verhältnisse in dem Markgrafen Rüdiger, der den Hunnen dienen musste, obwohl er ein Deutscher und den burgundischen Königen blutsmäßig verbunden war, ganz deutlich wider.

Einen der bedeutendsten Vorstöße über den Ennsfluß hinaus wagten die Ungarn im Jahre 943. Damals drangen sie bis gegen Wels vor, holten sich dort aber eine Niederlage; es war jedoch nicht der letzte Einfall der Magyaren in das bayrische Herzogsland, sie bedrohten es ständig. Im Jahre 955 gelang es dem magyarischen Reitervolke sogar bis zum Lechfluß vorzustoßen und die Bischofsstadt Augsburg zu belagern.

Lechfeldschlacht

Der deutsche König Otto I. konnte aber nunmehr, da unter Konrad I. das Deutsche Reich gegründet und unter Heinrich I. (919-936) gewaltig erstarkt war, mit seinem Heere die Belagerer bezwingen und Augsburg freikämpfen. Er schlug sie am 10. August (Laurentius) 955 so entscheidend in die Flucht, dass sich ihre aufgelösten Heeresreste schleunigst bis nach Ungarn zurückzogen. Dieser Augenblick war auch eine Sternstunde für das Volk von Haag, er brachte ihm die Freiheit. Denn nun errichtete Otto I. eine deutsche Mark, die vom Erlafluß bis zum äußersten Wienerwald reichte, und übertrug die militärische Leitung dieses neugeschaffenen Grenzgebietes einem Markgrafen.