DAS NEUE ANTLITZ HAAGS (25 Jahre Stadt)
c) Haag im Kriege (1939 bis 1942)
Als am 1. September 1939 der Krieg begann - ohne die Begeisterung, mit der man 1914 auch in Haag in den Krieg gezogen war -, konnte niemand wissen, was der Stadtgemeinde bevorstand. Denn vorerst war nichts vom Kriege zu spüren, mit Ausnahme der Lebensmittelkarten, die eine verkürzte Zuweisung der Nahrungsmittel brachten. Am 9. Oktober d. J. besuchte noch eine Gruppe Askari aus der ehemaligen deutschen Kolonie in Ostafrika unser Haag und bot in einer Schüler- und in einer Abendvorstellung einen guten Einblick in das Brauchtum ihres Landes.
Religiöse Protestbewegung
So lange die Siege anhielten und die Feindländer in Blitzkriegen niedergeworfen wurden, fühlten sich die Vorkämpfer der nationalsozialistischen Lehre stark im Kampfe gegen Glauben und Christentum. Mit der Entfernung der Kreuze in den Schulklassen und dem Verbot des Schulgebetes in Haag begann die gläubige bäuerliche Bevölkerung unruhig zu werden. In dem sehr tüchtigen und rührigen Kooperator Karl Ramharter meinten die Parteigrößen unseres Ortes den Urheber dieser unruhigen Stimmung sehen zu können. Der Kreisleiter kam, ließ sich Kooperator Ramharter und seinen Amtsbruder Muric vorladen, brüllte sie an und enthob sie des Schuldienstes. Das Schulverbot, das ihnen die Gauleitung erteilte, bezog sich auf den ganzen Gau Nieder-Donau (damalige Bezeichnung für Niederösterreich). Am Montag, den 17. April 1939, versammelte sich ein Großteil der Bäuerinnen und Bauern, ging in die Messe und zog von der Pfarrkirche zum Schulhaus, um im Sprechchor die Wiedereinsetzung der beiden Kooperatoren zu fordern und den Religionsunterricht in der Schule zu verlangen. Diejenige Lehrkraft (es war kein Haager), die nach der Meinung des Volkes hauptsächlich die Vertreibung der Kooperatoren aus der Schule bewirkt hatte, war nirgends aufzufinden; vom Schuldirektor Achat ließ sich das Volk dann wieder beruhigen, zog von der Schule ab und nahm eine drohende Demonstration vor der Wohnung des Ortsgruppenleiters vor. Gendarmerie, SA und SS vertrieben die Demonstranten und verhafteten die Rädelsführer. Der im Herbst ausbrechende Krieg zwang die Parteileitung zu versöhnlicheren Maßnahmen. Dennoch ging die starke antireligiöse Propaganda meist auswärtiger Parteileute und der Widerstand des gläubigen Teiles der Bevölkerung in Haag weiter. Zu Fronleichnam 1940 wollte die HJ-Leitung in Amstetten den Haager Fronleichnamszug unbedingt stören und den Zug über den Hauptplatz hindern. Haags neuer Pfarrer, Herr Rat Pragerstorfer, wandte sich an den Bürgermeister und an den Ortsgruppenleiter, um diesen Bubenstreich rechtzeitig abzuwehren. Und tatsächlich hatten die Haager Parteileute selber kein Interesse an dieser Störung des inneren Friedens. Bürgermeister Stephan Ströbitzer telephonierte - unterstützt vom Ortsgruppenleiter - dem HJ-Bannführer in Amstetten und sagte ihm: „Das werden wir Haager uns nicht gefallen lassen. Daraufhin unterblieb die Religionsstörung und spätere Jahre brachten dann den Parteiführern ohnedies andere Sorgen.
Pfarrer Pragerstorfer
Mitten in diesen kulturkämpferischen Zeiten starb im November 1939 Haags alter, hier weiß gewordener Pfarrer, Herr Rat Franz Reininger. Johann Pragerstorfer wurde sein Nachfolger; er wurde am 1. 7. 1892 in St. Valentin (Langenhart) geboren, besuchte das Gymnasium zu Melk und wurde 1915 zum Priester geweiht. Seine wichtigsten Kaplanposten waren in Zwettl und Krems. Dann folgte die Arbeit als Domkurat in St. Pölten und als Professor in Krems (bis 1938). Mit 1. 1. 1940 trat Herr Rat Pragerstorfer die Leitung der Haager Pfarre an. Was ihm hier bevorstehen sollte, war viel für zwei Schultern, viel an Arbeit und auch viel an Aufregung und entscheidungsschweren Tagen, nicht minder viel an fruchtbringenden Leistungen.
Flüchtlinge und Fliegeralarme
Die Kriegslage verschlechterte sich ständig; auch Haag bekam das zu spüren. Im September 1943 wanderten Kinder aus luftgefährdeten Orten in unser noch sicheres Haag und besuchten hier die Schule. Aber schon musste auch in Haag Fliegerabwehr stationiert werden, da das Nibelungenwerk nahe der Haager Gemeindegrenze feindliche Flieger herbeilockte. Am 23., 24. und 25. Februar 1944 gab es einen sehr ernst zu nehmenden Fliegeralarm in Haag: Steyr wurde von Bombern angegriffen. Am 2. April fielen im benachbarten Behamberg und Haidershofen und teilweise auch auf Haager Gemeindegebiet zum ersten Male Bomben, die Personen- und Gebäudeschäden verursachten; und am 24. August 1944 wurde ein viermotoriger feindlicher Bomber über Haag abgeschossen. Die zehnköpfige amerikanische Besatzung fand dabei den Tod und wurde am Haager Friedhof begraben.
Der Schulbetrieb litt nicht bloß durch die Notwendigkeit, bei Fliegeralarm die Kinder in den Luftschutzraum zu schicken, sondern auch durch die zunehmende Beschlagnahme der Schulräume, zuerst durch die Wehrmacht (Mai 1944), dann durch die. aus Siebenbürgen heranströmenden Flüchtlinge (Oktober 1944). Am 15. November 1944 mussten neuerdings 190 Flüchtlinge aus der Batschka im Schulhause einquartiert werden. Die Schule selber stand nicht mehr für den Unterricht zur Verfügung; das Postgebäude und Gasthausräume mussten hierzu herangezogen werden (bei Lintl, Reitter, Schafelner-Winge, im Trauungssaale).
Vom dritten Lebensjahre an erhielten alle Haager anfangs Dezember 1944 eine Volksgasmaske. Sollte sie wirklich notwendig werden? Es schien so. Immer unerbittlicher wurde die Kriegsführung. Selbst am Weihnachtstage (25. 12. 1944) fielen Bomben, neun davon auf Haager Gebiet (in Kroisboden), und richteten Flur-und Gebäudeschäden an zwei Bauernhöfen an.
Hofrat Sturms Tod
In diesem traurigen Jahr nahm auch einer der bedeutendsten Haager Söhne, Hofrat Josef Sturm, Abschied für immer. Durch das Hitler-Regime an der Ausübung seiner Tätigkeit für Österreichs Bauerntum verhindert, zog er sich in sein geliebtes Haag zurück und wohnte hier im Pfarrhofe, gastlich von Pfarrer Pragerstorf er aufgenommen. Hofrat Sturm wirkte wieder als Seelsorger. Sein größtes Vergnügen war ein Spaziergang hinaus zum Rabengut, dem Vaterhause, von dem er nie ohne ein Blümlein heimkehrte. Der Wunsch des greisen Mannes, im prangenden Frühling und nicht im kalten Winter der Haager Hügelheimat Lebewohl sagen zu dürfen, ging in Erfüllung. Am 14. Mai 1944 starb Hofrat Sturm; er war bei der Hitlerpartei als aufrechter Österreicher verhasst, und sein Begräbnis musste in aller Stille geschehen. Aber die Heimat grüßte doch den Toten und, mit einem Apfelblütenkranz um sein Haupt, nahm ihn die Mutter Erde auf. Zwei Jahre später konnte seine Ruhestätte zum Schauplatze höchster öffentlicher Ehrung werden.
Das Jahr 1945
Denn das Jahr 1945 brachte die Wende. Von Jahresbeginn an war es klar, dass der Krieg nicht mehr lange dauern konnte. Eine richtige Schockwirkung stellte sich in unserer Bevölkerung ein, als am 23. März 1945 das Bauernhaus Reitzinger erhebliche Bombenschäden erlitt und im Tiefangriffe die feindlichen Flieger Haag heimsuchten. Der Schulunterricht konnte den Winter hindurch nur sehr mühsam mit noch größeren Holzspenden der Bauern durchgeführt werden, als aber dann im April alle verfügbaren Räume, auch die Gasthauszimmer mit Flüchtlingen (Volksdeutschen aus Ungarn) belegt wurden, musste jeder Unterricht eingestellt werden. Der Flüchtlingsstrom riss nicht mehr ab. Zu dem Grauen, das dieses Elend erzeugte, kamen noch die Greueltaten entmenschter Angehöriger der SS. Im April 1945 waren politische Häftlinge (KZler) vor den anrückenden Russen aus dem Osten Niederösterreichs nach Mauthausen getrieben worden. Bei strömendem Regen mussten sie eine Nacht in der Schottergrube bei der Seilergstetten verbringen. Infolge der rohen Behandlung durch die antreibende SS und des herrschenden Wetters gingen viele von ihnen unterwegs an Erschöpfung zugrunde oder wurden, wenn sie nicht weiterkonnten, einfach niedergeschossen. Nur notdürftig wurden sie an den Straßenrändern eingescharrt. Dreizehn solcher Gräber gab es auch im Gemeindegebiet von Haag an der Straße des Todesmarsches nach Mauthausen.
Im Rückzug vor den eindringenden Russen strömten Militärkolonnen, eine nach der anderen, durch Haag; vorübergehend waren zwei Feldpostämter hier errichtet. Familien flohen aus Haag, ihre Wohnungen wurden sofort wieder von anderen Flüchtlingen besetzt. Das RAD-Lager in Haag wurde als Lazarett für Leichtverwundete benützt.
Am 5. Mai standen die Amerikaner an der Enns (Steyr wurde von ihnen eingenommen) und in Haag ging das Gerücht um, dass der ganze Amstettner Bezirk an Oberösterreich angeschlossene sei und zur amerikanischen Zone gehören würde. Tatsächlich trafen am 8. Mai 1945 die amerikanischen Soldaten in Haag ein; Widerstand wurde keiner geleistet; im Gegenteil, die Bevölkerung hisste spontan und frohen Herzens die rot-weiß-rote Fahne Österreichs und war froh, dass das Grauen des Krieges ein Ende genommen hatte. Der nächste Tag brachte eine große Enttäuschung für die Hager, die sich gerne von den Amerikanern besetzen lassen wollten. Die Truppen der USA zogen sich zurück, und die Soldaten der Sowjetunion marschierten ein. Anton Doschko, ein Bahnangestellter und Angehöriger der Sozialistischen Partei, übernahm sofort als Bürgermeister die Führung der Gemeinde, gab sie aber am 13. Mai 1945 bereits wieder an das Mitglied der Kommunistischen Partei, den Bahnangestellten Franz Martetschläger, ab.
Der erste Gemeinderat
Am 13. Mai hat sich gleichfalls die gesamte Gemeindevertretung der Stadt Haag neu konstituiert und nach dem Vorbilde früherer österreichischer Verhältnisse, aber nicht nach den Haager Machtverhältnissen zusammengesetzt:
Bürgermeister Franz Martetschläger, KPÖ; 1. Vizebürgermeister Franz Sturm, ÖVP; 2. Vizebürgermeister Anton Doschko, SPÖ; Gemeinderäte: 6 ÖVP, 3 SPÖ, 3 KPÖ.
Dem neuen Gemeinderat stand die große Aufgabe bevor, in einer Welt, die völlig aus den Fugen geraten schien, unser Haag wieder glücklicheren Zeiten entgegenzuführen.