Haus-Chroniken von Haag

Nach Katastralgemeinden - von damals bis heute

HAAGS WEG ZUR STADT (1850 bis 1932)

b) Haag vor dem ersten Weltkrieg (1892 bis 1914)

In den letzten 22 Jahren vor Ausbruch des Weltkrieges war es nicht ein Bürgermeister, der Haags Geschichte seinen Stempel aufdrückte, sondern eigentlich in erhöhtem Maße ein Priester, Pfarrer und Dechant Höllrigl, der während seiner Amtszeit von 1890 bis 1917 mit fünf Bürgermeistern zusammenarbeitete: Bis 1892 noch mit Ferdinand Bachmayr, 1892/93 mit Josef Wagner, 18941902 mit Josef Aigner, 1902-1907 mit Rudolf Weiß und ab 1907 mit Johann Kaiserreiner (Bürgermeister bis 1919).

Dechant Höllrigl

Als am 4. Mai 1890 Pfarrer Seeland starb, wurde vorübergehend der damalige Kooperator zum Pfarrprovisor bestellt, bis am 31. August 1890 Johann Ev. Höllrigl als Pfarrer installiert wurde. Johann Höllrigl war am 9. Oktober 1841 zu Kleineibenstein in der Pfarre Gmünd geboren worden; 1865 erhielt er die Priesterweihe und wirkte zunächst als Kooperator in Rappottenstein und Haidershofen und dann zwei Jahre als Domkurat in St. Pölten. Dort war er auch durch 20 Jahre als Lehrer und Direktor der Taubstummenanstalt, als Professor des Landeslehrerseminars, wie auch als Schulkommissär und Bezirksschulreferent des Bezirksschulrates St. Pölten tätig.

Änderungen im Marktbilde

Höllrigls erste Tat für Haag ist heute noch sichtbar und wird auch heute noch von allen Haagern als wertvoller Beitrag zur Verschönerung des Ortes empfunden. Er ließ den Weg vom Markt zum Friedhof geradlinig anlegen und pflanzte an seinem Rande 107 Bäume, die heute schon eine stattliche Obstbaumallee bilden. Im selben Jahre 1890 mussten die hohen Umfriedungsmauern um die Kirche, die an vielen Stellen einzustürzen drohten, ausgebessert werden. Da diese Arbeit in ihren Kosten fast zu hoch kam, plante, man zunächst, die Mauer ganz abzureißen und an ihrer Stelle ein Eisengitter aufzustellen. Haags herrliches, wehrhaftes Bild wäre damit für immer zerstört gewesen. Glücklicherweise änderte Höllrigl sein Vorhaben sofort, als im März 1891 bei der Abtragung der schadhaften Umfriedungsmauer in ungefähr halber Höhe die historischen Zinnen zum Vorschein kamen, die nun Dechant Höllrigl in ihrer ursprünglichen mittelalterlichen Weise wiederherstellen ließ.

Renovierungen

Über die Renovierung der Kirche wurde oben schon berichtet; wenn sie auch heute nicht mehr in jeder Hinsicht Zustimmung findet, so war die Tat Höllrigls doch ausgesprochen mutig. Obwohl kein Kreuzer Geld da war, vertraute Höllrigl auf die Opferwilligkeit der Bevölkerung und wurde nicht enttäuscht. Architekt Ritter von Riewel führte die baulichen Veränderungen durch, öffnete die vermauerten Fenster, die mit bemalten Glasfenstern versehen wurden, und baute ein Oratorium über die Sakristei. Der Altarstein wurde einen Klafter nach Osten zurückgestellt, wobei der Maurerpolier Fischlmayr beinahe verunglückt wäre. Er fiel kopfüber in den unterhalb des Altares befindlichen Gruftgang und blieb dort längere Zeit ohnmächtig liegen. Der Maler Renner malte dann die Kirche um 1828 Gulden aus. Im Jahre 1893 wurden schließlich noch die Vorhallen an den beiden Kirchenportalen aus Stein errichtet und mit Eichentürflügeln ausgestattet. Haags „Hintertürl" an der Südseite der Umfriedungsmauer, von Höllrigl auch „Gloriettl" genannt, wurde gleichfalls durch ihn im Jahre 1891 renoviert. Nachdem bereits am 1. Mai 1891 beim Rabengut (damals Michael Sturm) eine Lourdeskapelle durch P. Ambros Sturm eingeweiht worden war, wollte auch der Pfarrer dieses Beispiel nachahmen; er ließ eine Lourdeskapelle neben der Sakristei der Kirche einrichten und gleichfalls durch P. Ambros Sturm aus Seitenstetten weihen.

Neuerungen

Selbst für die Hebung des Geschäftes hatte Dechant Höllrigl einiges übrig. An der dem Marktplatze zugewandten Südseite des Pfarrhofes wurde auf seine Weisung hin ein Trottoir gelegt und wurden fünf Buden für den Brotverkauf und ein größeres Verkaufslokal gebaut (1894). Fast in jedem Jahre gab es nun irgend eine größere Neuerung in Haag:

1891: Die Friedhofsmauer wurde restauriert. Da der Hohlweg vom Markte nach Gstetten zwischen „Stier" und Turnhalle unfahrbar geworden war und man über die pfarrlichen Äcker fuhr, wurde durch den Pfarrer selbst eine Straße angelegt, für deren Unterbau das Abbruchmaterial der alten Kirchhofsmauer verwendet wurde.

1892: Neben der schon erwähnten Erhöhung des Kirchturmes und der Aufsetzung eines neuen Turmkreuzes wurde die Friedhofskapelle restauriert und ihr neues Türmchen geweiht.

1893: Ein neuer gotischer Reliefkreuzweg wurde angeschafft und vom Bildhauer Anton Dietl aus Hall in Tirol verfertigt. Die Kosten trug die Familie Eder.

1895: Der Pfarrhof wurde lichtgrau gefärbelt. Höllrigl, der nach der Resignation P. Konrad Sandböcks, des Stiftspriors aus Seitenstetten, Dechant, Schulkommissär und Inspektor geworden war (1894), wurde zum Vizepräsidenten des landwirtschaftlichen Bezirksvereines und zum Direktor der Sparkasse gewählt. Er ließ an der nordwestlichen Bergleite, unterhalb der Kirchhofzinnen, an Stelle der Obstbäume, die nicht recht gediehen, Fichten setzen und spendete eine neue gotische Monstranze, sechs Kilogramm schwer, aus Silber und vergoldet.

1896: Das äußerst schadhafte Kirchendach wurde vollständig umgedeckt. Die Graf-Sprinzenstein'sche-Gruft im Salaberger Wald wurde eingeweiht. Es erfolgte die Überführung und Beisetzung der verstorbenen Mitglieder.

1897: Die Parzelle Nr. 42 und Teilparzelle Nr. 43 (Marktplatz) wurden vom Pfarrer der Gemeindevertretung unentgeltlich überlassen, allerdings unter der Bedingung, dass der Marktplatz nicht verbaut werden darf.

In der Folgezeit wurde von der Marktgemeinde der romantische Marktbrunnen, der sich in der Mitte des Marktplatzes erhob, abgetragen und der Brunnen zugedeckt. Im selben Jahr wurde auch vom Pfarrer die Baumallee, die schon bis zum Friedhofe reichte, bis zum neuerrichteten Gemeindebad, dem Kneippheim, weitergeführt und angelegt. Zur Errichtung des Kneippheimes trug besonders der Steueramtskontrollor Alois Edhofer bei.

1898: Die Emmauskapelle auf dem Weg vom Friedhof zum Kneippheim, gleich hinter dem Friedhofe, wurde zum Dank für das gesegnete Jahr gebaut und geweiht. Konsistorialrat Pfarrer Johann Georg Hochwallner, geboren im Mayerhofergut zu Richersdorf, hat 8698 Gulden testamentarisch zum Bau eines Schwesternhauses bestimmt. Pfarrer Hochwallner, der am 13. Mai 1895 in Marbach am Walde gestorben war, wollte in Haag Schwestern angesiedelt haben. Auf Beschluss wurde 1898 das Kaiser-Franz-Joseph-Jubiläums-Versorgungshaus erbaut und am 2. Dezember desselben Jahres durch P. Ambros Sturm, einen Sohn der Haager Erde, eingeweiht. Drei Barmherzige Schwestern übernahmen sofort die ambulante Krankenpflege.

1900: Kirche und Sakristei wurden im Innern gepflastert, das Musikchor samt Oratorium wurde abgetragen und neu aufgebaut. Eine neue Orgel, von Bachmayr in Urfahr gebaut, wurde angeschafft; der Friedhof wurde erweitert.

1901: Marienkapelle (Lourdeskapelle) im Jubiläums-Versorgungshause von Franz Pichlwanger gebaut. 1903 wurde die Kapelle durch Georg Pickl ausgebaut.

1907: 13 Apostelstatuen, aus Terrakotta, in München bei Möller verfertigt, wurden im Presbyterium aufgestellt. Sie kosteten 4000 Kronen.

1908: Die Statuen Kaiser Heinrichs und seiner Gemahlin Kunigunde, beide aus Holz von Linzinger in Linz verfertigt, wurden links und rechts vom Hochaltare aufgestellt. Sie kosteten 550 Kronen.

1912: Die Statue St. Leonhards außerhalb des Presbyteriums, an der äußeren Kirchenmauer aufgestellt. Kosten: 650 Kronen.

Höllrigls "Geschichte der Pfarre und Gemeinde Haag"

Dechant Höllrigl hat in allen diesen Unternehmungen den geistigen Hauptanteil getragen; seine Arbeitskraft war aber damit noch nicht erschöpft. Im Jahre 1900 schrieb er die „Geschichte der Pfarre und Gemeinde Haag, Niederösterreich", die durch Edmund Huber in Haag verlegt wurde. Höllrigls Geschichte von Haag ist überhaupt die erste zusammenfassende und gedruckte Darstellung vom Werdegang unserer engeren Heimat und so manches Wertvolle ist in ihr zu finden.

Neben diesem rührigen Manne lebten aber noch viele andere rüstige und arbeitsame Haager in den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkriege; sie alle insgesamt trugen das Ihre dazu bei, dass sich der Markt Bauwerk um Bauwerk ständig vergrößerte. Bei fast allen neuen Bauten hatte Pfarrer Höllrigl wenigstens indirekt zu tun; gehörte doch ein sehr umfangreicher Besitz an Grund und Boden, fast alles, was sich östlich und südöstlich von der Kirche nach Gstetten hin erstreckte, der Pfarre, und wenn an dieser Seite hin der Markt wachsen wollte, musste zuerst der Pfarrer den Grund verkaufen. Das geschah auch, denn teils brauchte die Pfarre bei den umfangreichen Renovierungen, bei der Regotisierung und anderen Anschaffungen Geld, das nur durch Grundverkauf hereinkommen konnte, teils wollte Pfarrer Höllrigl die Entwicklung des Marktes keineswegs aufhalten.

Wachsen des Marktes

Schon als die Schule gebaut wurde, musste vom Pfarrer der Grund (ehemaliger Pfarrhofgartengrund) dazu hergegeben werden (1776). Ein weiteres Stück des Pfarrgartens verkaufte Höllrigl im Jahre 1892 an Herrn Josef Aigner, der sich an dieser Stelle eine Villa (heute Arztensvilla, im Besitze der Familie Weinberger) baute. Im folgenden Jahre (1893) erwarb Herr Kaiserreiner 1100 Quadratklafter östlich der neuen Schule, um sich eine Schlosserei einrichten zu können.

Die Turnhalle

Pfarrer Höllrigl konnte dem aufstrebenden Manne die Bitte nicht versagen und gab den Grund her. Gleichzeitig wurde auf ehemaligem Pfarrgrunde die Turnhalle durch den Turnverein gebaut und Herr Pohl kaufte dem Pfarrer weiteren Grund in dieser Umgebung ab. Pohl baute eine Spenglerwerkstätte und ein Wohnhaus (heute Spenglerei Wiesmayr gegenüber der Turnhalle). Im Jahre 1896 begann sich auf Pfarrergrund ein neues Viertel zu erheben, das Pfarrer Höllrigl das „Weinberger-Viertel" nannte, der Volksmund aber aus nicht recht ersichtlichem Grunde weniger schmeichelhaft auch als „Glasscherben-Viertel" bezeichnete. Stephan Weinberger hatte einen Hohlweg mit einer Wiesenparzelle und eine Ackerparzelle gekauft und fing mit dem Hausbau an. Weitere Grundverkäufe in dieser Gegend geschahen durch den Pfarrer in den Jahren 1899 und 1902, so dass Haus um Haus in der Nachbarschaft des Maurermeisters Stephan Weinberger erstehen konnte. Der Raum südlich des Weges von der Kirche zum Friedhof e wurde immer mehr und mehr nach dem ersten und zweiten Weltkrieg verbaut und nichts erinnert heute mehr daran, dass hier einst, d. h. vor ein paar Jahrzehnten, die Kornfelder des Pfarrers im Winde wogten. 1896 wurden auch noch an Dr. Jenal (Advokat), Johann und Maria Weigl, Josef Hermann und an Josef und Julie Hörmann Pfarrgründe für Bauzwecke verkauft.

Wachsen des Marktes

Breitete sich so der Markt immer mehr aus und eroberte er ursprünglich landwirtschaftliche Nutzflächen, so hatte das rechtlich um die Jahrhundertwende keine Bedeutung mehr. Marktbürger im Sinne früherer Jahrhunderte gab es nicht mehr; diese Vorrechte waren seit dem Jahre 1848 geschwunden. Daher wurden auch niemals mehr offiziell die Grenzen des Marktes neu ausgesteckt oder erweitert, und ganz formlos, ohne rechtliche Belange wuchs das geschlossenee Siedlungsgebiet über die alten eigentlichen Marktgrenzen hinaus, wurde aber dennoch auch als „Markt" und zum Marktgebiet gehörend empfunden. Das Gemeindegebiet, das alles bäuerliche Land mit umschloss, veränderte sich bei diesem Prozess nicht. Nur die Pfarre wurde etwas vergrößert, indem 1875 zwei Häuser der Ortschaft Grub aus Haidershofen ausgepfarrt und der Pfarre und Schule Haag zugewiesen wurden. Sechs Häuser aus der Rotte Lembach wurden dann noch 1891 aus der Seelsorgestation Ernsthofen ausgeschieden und der Pfarre Haag zur Betreuung übergeben.

Die weltlichen Oberhäupter unseres aufblühenden Gemeinwesens wechselten in verhältnismäßig kurzen Abständen.

Die Bürgermeister

Josef Wagner, Wirt in Klingenbrunn und Besitzer jenes Hauses, in dem auch der Heimatdichter der „Ennswaldeiche", Hochwürden Professor Josef Wagner, geboren wurde, stand der Gemeinde gar nur ein Jahr vor (1892/93). Ihn löste Josef Aigner, der Besitzer der Brandlmühle, ab (1893-1902). Die Hauptarbeit Bürgermeister Aigners bestand in der Kanalisierung des Marktes, in der Errichtung einer Wasserleitung und eines Wasserreservoirebeckens.

Die Wasserleitung

Bisher hatte in Haag nur der Pfarrhof eine Wasserleitung, an die seit 1880 durch das Entgegenkommen Pfarrer Seelands auch der Nachbar Josef Schafelner angeschlossene war. Pfarrhof und Schafelner gaben die Zustimmung zur Verwendung des bereits bestehenden Wasserwerkes für allgemeine Zwecke, wofür sie einige wasserrechtliche Vorrechte erhielten. Das Brunnenhaus unter dem Berge (Bauparzelle 103) und die Wasserleitungsanlage mussten neu eingerichtet oder zumindest etwas umgebaut werden, ein Reservebehälter wurde oben am Berge neben dem alten Pfarrerstadel (und neben dem heutigen Kindergarten) erbaut. Zunächst, d. h. im Jahre 1901 wurden nur einige Häuser angeschlossene, allmählich aber das Netz der am Wasserbassin hängenden Leitung erweitert. Unter Bürgermeister Aigner schritt die Gemeinde auch an die Erbauung eines eigenen Steueramtes und Gerichtsgebäudes. Das Amtsgebäude an der Strengberger Straße (Wiener Straße) konnte nicht mehr zufriedenstellen.

Bau des Gerichtsgebäudes

Der Grund gegenüber dem Pfarrergarten zwischen Riesenfelsschem Schlössel und Pfarrerstadel wurde von der Gemeinde erworben (ehemaliger Pfarrgrund) und ein sehr stattliches, zweistöckiges Gebäude, im Volksmunde das „Gerichtsgebäude", nach den Entwürfen des Architekten Anton Gurlich aus Wien erbaut. Aigner konnte 1902 noch den Bau beginnen, vollendet hat ihn im folgenden Jahre erst der nächste Bürgermeister, Rudolf Weiß (1902-1907). Die Familie Weiß zählt nicht zu den alteingesessenen Haagern, sie stammt vielmehr aus dem Gottscheer Lande. Der Vater des Bürgermeisters war ursprünglich Hausierer (Gottscheer Bandlkramer). Als außerordentlich strebsamem und fleißigem Manne gelang es ihm, sich in Haag als Geschäftsmann anzukaufen (Kaufhaus Weiß neben Schafelner) und neben dem einen Kaufhaus auch noch ein zweites Haus am Marktplatze zu erwerben, das er als Tabak-Trafik eingerichtet hatte. Weitere Grundstücke erstand er von Pfarrer Höllrigl, so die ehemalige pfarrliche Wagenremise und den schönen „Weiß-Garten" südlich der Turnhalle und des Turnplatzes.

Bürgermeister Rudolf Weiß hat in korrekter Weise die von seinem Vorgänger begonnenen Arbeiten fortgesetzt und manches zur ruhigen Weiterentwicklung des Ortes beigetragen. Die Wasserleitung wurde vielen Häusern zugänglich gemacht, die Kosten für das große Haager Amtshaus (Gerichtsgebäude) wurden allmählich beglichen.

Johann Kaiserreiner, der als Bürgermeister von 1907 bis 1919 im Amte war, konnte mit Befriedigung feststellen, wie Haags Bedeutung beständig gewachsen war. Dies zeigten vor allem die großen Feste, die im Jahre 1911 Haag zum Mittelpunkt hatten. Am 24. und 25. Juni fand ein prächtiges Gausängerfest im Markte statt, am 2. Juli folgte unmittelbar der Bezirksfeuerwehrtag, der in Salaberg abgehalten wurde. Im Schlosshofe predigte Pater Bruno Rauchegger, ein gebürtiger Salaberger, so schön, dass noch Jahre nachher die Haager davon redeten.

Nicht bloß äußerlich war Haag stattlich geworden, wenngleich Gerichtsgebäude, Schulhaus, Sparkasse, das Kneippheim und der erhöhte Kirchturm dies so stolz und sichtbarlich zum Ausdruck brachten und noch bringen; auch an geistiger Größe fehlte es in Haag des beginnenden 20. Jahrhunderts keineswegs.

Berühmte Haager

Dr. Josef Wagner, Domherr in St. Pölten, wurde bereits als Dichter erwähnt. Dem Wirtssohne aus Klingenbrunn wird es immer zur Ehre gereichen, die Mostviertler Landeshymne („Is wo a Landl") verfasst zu haben. Der zweite musische Mensch unseres Haag war Fritz Tippl, der Sohn des verdienten Oberlehrers und Haager Ehrenbürgers Johann Tippl. Fritz Tippl dichtete in der Mundart und malte ganz ausgezeichnet (z. B. das Bild von Alt-Haag). Josef Hufnagl, Bahn- und Gemeindearzt, Besitzer des goldenen Verdienstkreuzes und Ehrenbürger von Haag, zählte gleichfalls zu den in Haag bedeutenden Persönlichkeiten. Und schon lebten am Vorabend des ersten Weltkrieges Männer, Haager Kinder, die in ihrer ganzen Größe erst in späteren Jahren dem Lande aufleuchten sollten. Schon machte sich Dr. P. Ambros Sturm (gest. 1931), Professor am Stiftsgymnasium in Seitenstetten, in der Wissenschaft der Mathematik, einen Namen, der über das niederösterreichische Land und über die Grenzen der österr. - ung. Monarchie hinaus drang. Dr. P. Bruno Rauchegger, 1910 zum Priester geweiht, folgte den Spuren des P. Ambros und wählte die Mathematik zu seinem Fache. Alle seine Prüfungen hat Pater Bruno Rauchegger mit Auszeichnung gemacht und deshalb hat er seinen Doktorhut „sub auspiciis imperatoris" empfangen, eine besondere Auszeichnung des Kaisers, der dem Studenten dabei einen Siegelring verlieh. Vor und nach dem zweiten Weltkriege hat P. Bruno dann das Stiftsgymnasium in Seitenstetten als Direktor geleitet und sich beim Wiederaufbau des Gymnasiums den Hofratstitel ehrlich verdient.

Hofrat Sturm

Nicht vergessen unter den berühmten Haager Söhnen sei der Führer unserer Bauern, der Mitbegründer des Bauernbundes, Hofrat Josef Sturm. Als Sohn eines Bauern (Rabengut) geboren, hat er sein ganzes Leben unter dem Leitspruch „Glaube und Heimat" gestaltet. Der neuausgeweihte Priester wurde zunächst als Kaplan in Kirchberg an der Pielach verwendet; schon 1914 trat er in die Arbeit für den niederösterreichischen Bauernbund, dessen Direktor er von 1918 bis 1933 war. Als Regierungsrat und Hofrat besaß er großen Einfluss in der nö. Landesregierung, besonders seit der Bauernbundobmann Reither Landeshauptmannstellvertreter war. Auch Sturm wurde später Landeshauptmannstellvertreter. Wer erkennen will, wie tief sein priesterliches Herz der Heimat und ihren Menschen, besonders aber dem Bauerntum, verbunden war, muss das Büchlein lesen, das Josef Sturm im Jahre 1936 im Agrarverlag herausgegeben hat; es heißt „Was die Heimat mir erzählt" und bringt ernste und heitere Kurzgeschichten aus dem niederösterreichischen Volksleben. „Was ich an der Heimat Pulsschlag gefühlt, davon will ich singen und sagen", das war die Absicht Hofrat Sturms. Zur Stadterhebung Haags hat er den entscheidenden Anteil beigetragen, indem er mit Hilfe seiner Parteifreunde (in der Christlichsozialen Partei, speziell im Bauernbund) den diesbezüglichen Beschluss des niederösterreichischen Landtages durchsetzte. Auf Wunsch der Bischöfe Österreichs sollte Hofrat Sturm im Jahre 1933 die Stellung eines Bauernbunddirektors zugunsten seines priesterlichen Wirkens abgeben; dies geschah auch und Sturms Nachfolger wurde Ing. Leopold Figl, der nachmalige Kanzler. Der Einmarsch Hitlers zwang dann Hofrat Sturm, ein Asyl zu suchen, das er im Haager Pfarrhofe fand.

Für alle diese Männer, für den Dichter Prof. Dr. J. Wagner, wie für seinen engen Freund, den Politiker Hofrat Sturm, für P. Ambros Sturm und P. Bruno Rauchegger, die beiden Benediktinermönche, für sie alle gilt das eine: sie haben in Haags Volksschule dankbar die allerersten Voraussetzungen für ihr späteres segensreiches Wirken mitbekommen und sie haben in der Zeit vor dem ersten Weltkriege jene entscheidenden Eindrücke von Haags Aufschwung und Rührigkeit gewonnen, die sie zeitlebens, auch wenn sie fern der Heimat weilten, diese Heimat lieben ließ.

Unter dem Festjubel des Gausängerfestes 1911 oder des Bezirksfeuerwehrtages 1911 dachte gewiss kein Mensch daran, wie bald die Tage der Freude und des Friedens vorüber sein sollten. Noch bewegte sich das Leben vorerst weiter zwischen Wallfahrten (wie etwa am 6. November 1912 nach St. Leonhard) und Geschäften (Karl König kaufte zur Errichtung einer Apotheke 1913 vom Pfarrer ein Grundstück). Und wenn auch ab und zu die Angst und Sorge sich in Haag einnistete, so galt sie der bedrohlich werdenden Maul- und Klauenseuche (1912) oder dem in Frage gestellten Reichtum und Segen der Ernte. Da brach plötzlich die Schreckenskunde vom Mord in Sarajewo in das friedliche Getriebe herein. Die Nachricht von der anbefohlenen Mobilisierung erreichte Bürgermeister Kaiserreiner unterwegs; so wenig dachte auch er wie alle anderen Haager an ihre bevorstehende Durchführung; rasch ließ sich Haags Bürgermeister nach Hause führen, um die für den Ernstfall gut versperrten Befehle den Haagern zu eröffnen.

Eine ernste Stunde hat die Glocke angeschlagen; der Untergang des großen Reiches war angebrochen und führte viel menschliches Leid auch für die Haager mit sich. Vor allem war nun die bauliche Entwicklung des Marktes auf ein Jahrzehnt unterbrochen und eine beständige Aufwärtsentwicklung abgeschnitten.