HAAGS WEG ZUR STADT (1850 bis 1932)
Kriegerdenkmal und Glocken
Mit einem Kostenaufwand von 44 Millionen Kronen (nach der Einführung der Schillingwährung waren dies 4400 Schilling, heutiger Wert ungefähr das Zehnfache) wurde das Ehrenmal von beiden Gemeinden errichtet und beide Gemeinden verpflichteten sich auch zur Erhaltung. Die Weihe erfolgte 1923. Stumm kündet der Stein die Namen von 52 Gefallenen, 30 Vermissten und 49 Namen solcher, die an Verwundungen und Kriegsfolgen gestorben sind. Ein Jahr später, 1924, konnten durch das Bemühen beider Gemeinden fünf neue Glocken feierlich ihren Einzug halten. Die Glockengießerei St. Florian übernahm die alte 12-Uhr-Glocke (594 kg), da sie keinen reinen Ton hatte, die Ersatzglocke übernahm Rohrbach. Haags neue Glocken waren bereits in der Frühjahrsmesse in Wien ausgestellt gewesen und hatten insgesamt 164.5 Millionen Kronen gekostet. 1296 kg wog die Es-Glocke; 670 kg die Glocke mit g-Ton; 413 kg die mit b-Ton; 278.5 kg die mit c-Ton; 82.5 kg die mit g-Ton.
Das elektrische Läutwerk, aus Herford in Deutschland bezogen, erforderte nochmals 53 Millionen Kronen. Am Palmsonntag, den 13. April 1924, erfolgte bei leider schlechtem Wetter die Weihe der Glocken durch den Abt von Seitenstetten, Dr. Theodor Springer. Landbürgermeister Nagelstraßer und Heinrich Gruber (Eisengruber) haben sich bei der Anschaffung der Glocken besondere Verdienste erworben; die kleine Glocke ist überhaupt eine Spende Herrn Heinrich Grubers.
Bürgerschule (später Hauptschule)
Neben diesen gemeinsamen Anliegen versuchte der Markt auch seine eigenen Wege zu gehen. Die Marktbürger wollten vor allem die Errichtung einer Bürgerschule in Haag erreichen, wenn dies auch einer der Gegensätze zur Landbevölkerung war und wenn auch der Plan einer Bürgerschule mit zur Trennung der beiden Gemeinden beigetragen hat. Trotz des Geldsturzes wurde der kostspielige Plan im Jahre 1924 durchgesetzt, und heute ist wohl jeder Haager ob dieser Hartnäckigkeit der damaligen Marktgemeindevertretung froh. Die Hoffnungen, die sich sonst bezüglich des Aufschwunges unseres Marktes da und dort erhoben, gingen freilich nicht in Erfüllung. Zum Industrieort konnte sich Haag nicht entwickeln, hierzu fehlten auch alle, Voraussetzungen. Die Sesselfabrik, die zu Beginn der zwanziger Jahre in der Nähe der Station Haag (Hochwall) errichtet wurde, hielt sich nicht. Die Arbeit musste gänzlich eingestellt werden! Der Ziegelfabrikation als einem naturgegebenen und bodenverbundenen Industriezweig waren und sind hingegen in Haag dauerhafte Erfolge beschieden.
Der Bauernstand: Zuckerrübenbau
Der eigentliche Träger der Wirtschaft in Haag blieb nach wie vor der Bauernstand. Neben dem Getreidebau sind die Zucht von Schweinen und Rindern und der Anbau von Kartoffeln in den ersten Nachkriegsjahren die Säulen des Verdienstes für den bäuerlichen Unternehmer gewesen. Mit der Errichtung von österreichischen Zuckerfabriken (nach dem Wegfall der böhmischen Zuckererzeugung) begann auch der Zuckerrübenbau für Haags Bauern interessant zu werden und sich im Jahre 1929 durchzusetzen. Der Rapsbau hingegen nahm ab und schwand gänzlich aus dem Bilde unserer Landschaft. Mit der Schaffung von Molkereigenossenschaften konnte das wiesenreiche Haager Gebiet mit seinem fetten Boden und den genügend starken Niederschlägen nur gewinnen, und so wurde allmählich immer mehr und mehr auch die Milchwirtschaft eine der Existenzgrundlagen unserer Bauern.
Jene Zweige des Handels und Gewerbes, die dem bäuerlichen Alltag und seinen Erfordernissen dienen, blühten im Markte Haag am besten: der Viehhandel, das Fleischhauergewerbe. Die Gaststättenbetriebe, so zahlreich sie auch sind, werden Sonntag für Sonntag zu Mittelpunkten vielfacher Geschäftsabschlüsse, zu Treffpunkten des bäuerlichen Umlandes. Schuhwerk und Bekleidung, Werkzeuge, Geräte und Eisenwaren besorgte sich der Bauer gerne, wenn er im „Markt" auf einem Amt oder beim Arzt zu tun hatte.
Mit der Bürgerschule, die in dem Volksschulgebäude untergebracht war, wurde Haag auch eine kleine Schulzentrale. Im Schuljahre 1931/32 gab es an der Volksschule 333 Kinder, an der Hauptschule (früher Bürgerschule genannt) 229 Schüler und Schülerinnen. Die Kinder umliegender Ortschaften (Weistrach, St. Peter, Seitenstetten) mussten über zwei Jahrzehnte lang zum Besuch einer Bürgerschule (Hauptschule) nach Haag fahren. Als Gerichtsort, als Schulort wie als wirtschaftlicher Mittelpunkt eines reichgesegneten Bauernlandes gewann der Markt mit zunehmendem Maße an Bedeutung.
Politische Fronten 1920-1932
Die politischen Fronten, die es im damaligen Österreich gab, machten sich auch in Haag bemerkbar. Eine große Erregung bedeuteten für Haag die Vorgänge des 15. Juli 1927 in Wien (Justizpalastbrand). Eine starke Heimwehrbewegung entfaltete sich daraufhin auch in Haag, von vielen begrüßt, von vielen auch wieder angefeindet. Die politischen Debatten in den Gasthäusern wurden zum gewohnten sonntäglichen Bild.
Besondere Ereignisse 1920-1932
Neben der Politik widmete das Haag der Jahre 1925 bis 1932 seine Aufmerksamkeit auch noch immer stark den kirchlichen Ereignissen, so als etwa 1925 das Kirchendach an der Westseite sich senkte und gerichtet werden musste. Am 8. Dezember dieses Jahres spendeten die Geschwister Dorf er von Praunsberg und Langenfeld eine Herz-Marien-Statue der Kirche, die eingeweiht und aufgestellt wurde. Im Jahre 1929 ließ Msgr. Reininger den Hochaltar renovieren und das Presbyterium mit Ölfarben neu ausmalen. Große Ereignisse waren die beiden Primizen, die Haager Neupriester in ihrer Heimatpfarre halten konnten: Herr Johann Forstlehner am 24. Juli 1927 und Herr Karl Heinrich am 2. Juli 1931. Ein Todesfall, der Haag besonders erschütterte, sei gleichfalls hier vermerkt: Ekkehard und Gertrude Weiß, beide Kinder des Kaufmannes Weiß, in den Kreisen ihrer Turnbrüder und Turnschwestern des Deutschen Turnvereines besonders beliebte und in ganz Haag geachtete junge hübsche Menschen, fuhren am 21. April 1930 mit dem Motorrad bei einer Straßenübersetzung in der Nähe St. Valentins einem heranbrausenden Zug in die Quere und verunglückten beide tödlich. Mit ihrem Tode war das Kaufhaus Weiß der Erben beraubt; ganz Haag folgte dem Trauerzuge.
Straßenpflasterung
Solche tiefeinprägsame Ereignisse, ob sie nun Freude oder Leid bringen, bleiben lange in der Erinnerung der Menschen haften. Die stille Arbeit, die Bürgermeister und Gemeinderat leisteten, ging beinahe in Vergessenheit unter: denn Straßenpflasterung und Kanalisation verschönerten zwar das Bild der Ortschaft, aber der neue Anblick war bald so gewohnt, dass jedermann glaubte, er sei schon seit jeher in Haag auf sauberen Straßen gegangen.
Stadterhebung
Durch die wirtschaftliche Position, die der Markt hatte, durch das äußere Bild, das Haag um das Jahr 1930 bot, bewogen, mochte wohl Hofrat Sturm daran gedacht haben, seinem Heimatort die Stadterhebung zu erwirken und den Markt für die Abtrennung der Landgemeinde reichlich zu entschädigen. Wohl gab es zunächst manchen Spötter, der darauf hinwies, dass/ Haag doch nur eine groß gewordene Bauernsiedlung Sei. Aber hatte nicht Haag schon das Aussehen eines städtischen Gemeinwesens, überhaupt, wenn man es von der Haltestelle, den aufragenden Pfarrhofberg vor sich, betrachtete? Andere wieder meinten, Haag sei bis jetzt ein großer, bedeutender Markt gewesen, von nun ab sei es eine kleine, ganz kleine Stadt. Alle diese Überlegungen hatten gewiss manches für sich. Sie änderten aber nichts an der Tatsache, dass es ein Bauernsohn war, nämlich Hofrat Sturm, der es mit zähem Willen und echtem Haager Kopf durchsetzte und mit Landtagsbeschluß des nö. Landtages vom 23. Juni 1932 aus seinem „Bauernmarkt" eine Stadt machte. Die Folgezeit hat Herrn Hofrat Sturm recht gegeben. Die junge Stadt, durchaus nicht die kleinste und unbedeutendste im niederösterreichischen Lande, hat auch weiterhin an Wirtschaftskraft gewonnen und die stolze Tradition des mittelalterlichen Marktes fortgeführt: zentraler Mittelpunkt der Bauern im Ennswald zu sein und daneben das kleine Gewerbe und das Handwerk mit besonderer Liebe zu pflegen. Dies ist auch der Sinn der am 2. Oktober 1931 in Haag begonnenen gewerblichen Fortbildungsschule.