Das Geschehen der Jahrhunderte und Jahrzehnte verläuft nach einer nicht unbegründeten Ansicht vielfach in einer Bewegung, die der des Uhrpendels gleicht; dem Ausschlag nach der einen Seite folgt ein entgegengesetzter: den stürmischen Zeiten der Franzosenkriege folgten äußerst ruhige Jahrzehnte in Österreich, aber auch in unserem Haag.
Zeitgeister
Das Volk, das während der feindlichen Einfälle zu lebhaftem Anteil an dem großen Weltgeschehen aufgefordert wurde und mitgerissen war, sollte nunmehr in einer etwas unklugen Politik der Reaktion von allem öffentlichen Geschehen ferngehalten werden. Dafür ließ sich die Regierung die Förderung des Handels und der Industrie sehr wohl angelegen sein, und sie lenkte den Tätigkeitsdrang ihrer Untertanen auf die Belebung der Wirtschaft.
Dies war gewiss auch nötig. Der Staatsbankrott des Jahres 1811, die Plünderung durch die Soldaten und der tief eingreifende Krieg hatten eine Verarmung zur Folge. Auch Haags Bevölkerung war zur Sparsamkeit gezwungen und konnte auf dem Gebiete der Bautätigkeit nicht viel unternehmen. In seiner biederen Einstellung begnügte sich das Volk in der „Biedermeierzeit" mit der schöneren Ausgestaltung seiner Wohnungen; der Mode der Jahrzehnte entsprechend, war der Sinn auf das Praktische gerichtet, und alle neuen Möbel trugen solcher Einstellung Rechnung. Der raumsparende Sekretär und der runde, oft auch aufklappbare Tisch fanden auch in Haags Bürgerhäuser Eingang. Leider sind echte Biedermeiermöbel in Haag heute nur mehr selten da und dort anzutreffen.
Lebensweise
Das Gefühl, in einer sicheren, dem Umsturz abholden Zeit zu leben, bewog die Leute, an dauerhafte Einrichtungsgegenstände, an bleibenden Schmuck und Wert zu denken, und weil das Teuere auch das Unverwüstlichere ist, auch in der Bekleidung meist nur solide, gute Ware zu wählen. Die Vergnügungen des Volkes mussten sich mehr auf das Essen beschränken, und die Preise für die Produkte der Landwirtschaft hielten sich in einem sehr erträglichen Maße. Für den Bauern ergab sich deshalb kein Gewinn und der pflichtgemäße Zehent war eine schwere Last, obwohl er in der Pfarre Haag nicht sehr strenge eingetrieben wurde.
Bei dieser einfachen Lebensweise, die, sehr im Gegensatz zur heutigen Zeit, nicht von vielen Abwechslungen überflutet war, wurden die Kinder noch nicht als eine unliebsame Störung der kostspieligen privaten Vergnügungen gewertet. Die Bevölkerung von Haag, die in den letzten Jahrzehnten durch Not und Krankheit nicht sehr wachsen konnte, begann zahlenmäßig anzusteigen. Zählte die, Pfarre Haag im Jahre 1800, also nach der Abtrennung von 554 Seelen, nur 3619 Personen, so wuchs sie bis zum Jahre 1857 auf 5001 Personen an, Aber noch immer starben sehr viele Kinder, die ärztliche Kunst war noch immer nicht in der Lage, den Krankheiten des Volkes die hinraffende Kraft zu nehmen. Hygiene und bewusst gesundheitsfördernde Lebensweise waren gleichfalls noch unbekannt.
Aber im allgemeinen erholte sich das Land rasch von den Nachwehen der Franzosenkriege. Ein neues Bürgerliches und ein Straf-Gesetzbuch wurden ausgearbeitet. Die Landwirtschaft bekam durch die kaiserlichen Muster wirtschaften neue Anregung; von dort aus wurden verbesserte Pflüge, Eggen und andere Werkzeuge im Lande verbreitet und rationellere Bewirtschaftungsmethoden in das Volk getragen.
Perschis Stiftung und Testament
Dechant Perschi, der in Not und Gefahr in Haag durchgestanden hatte, war leider immer mehr und mehr taub geworden. Aus diesem Grunde hatte er bereits 1806 auf das Dekanat resigniert. Im Jahre 1814 musste er sich schweren Herzens ganz aus der Seelsorge zurückziehen und auf sein Kanonikat nach St. Pölten abgehen, wo er Direktor der Taubstummenanstalt wurde und am 27. Dezember 1820 starb. Nicht bloß Haag, sondern auch die Diözese hat er sich zu dauerndem Dank verpflichtet. Schon bei Lebzeiten gab er dem Alumnat in den drückenden Teuerungsjahren 1815 bis 1817 Vorschüsse von mehreren tausend Gulden und beschenkte einzelne Alumnen mit Geld und Büchern. In seinem Testamente setzte er das bischöfliche Alumnat zum Universalerben seines bedeutenden Vermögens ein; seine letztwillige Anordnung lautet:
„Endlich setze ich zu meinem Universalerben diejenigen Alumnen des bischöflichen Alumnates in St. Pölten ein, welche in jedem Jahr zu Priestern geweiht werden und in die Seelsorge austreten. Die Neupriester sollen mit Brevier und Heiliger Schrift, mit anständiger Kleidung vom gutem schwarzem Tuch mit Tamas oder anderem guten Futter und vier geistlichen Halskrägelchen alljährlich ausgestattet werden. Sollte sich aus den Interessen des Kapitals ein Überschuss ergeben, so soll er zu Gebrauch und Nutzen des Hauswesens im Alumnat verwendet werden.
Perschi, der noch im Mai seines Todesjahres das 50. Priesterjubiläum gefeiert hatte, hat damals bereits dem Priesterunterstützungsfonds ein Geschenk von 1000 Gulden gemacht. In seinem Testamente warf er überdies für die damalige Militärschule in St. Pölten ein Legat von 20.000 Gulden in Staatspapieren aus und besserte durch eine Kapitalsanlage die Pfarren Ernsthofen und Öd sowie die dortigen Schullehrer mit 50 Gulden jährlich auf. Das Porträt dieses Edelmannes im geistlichen Kleide befindet sich im St. Pöltner Alumnate.
Pfarrer Pany
Der Nachfolger Perschis wurde Pfarrer Franz Pany (Panni); er war 1767 zu Dobersberg geboren, als Kooperator in Loosdorf, Waidhofen a. d. Thaya und Krems gewesen, 1801 Domkurat in St. Pölten und 1805 in Spitz geworden. Am 28. September 1814 wurde er als Pfarrer und Dechant in Haag investiert. Leider war er immer etwas schwächlich und kränklich und starb bereits am 15. Oktober 1824.
Im Jahre seines Amtsantrittes ließ Pany ein Inventar der Pfarre Haag anlegen. Demzufolge besaß die Pfarre 82 Untertanen, von denen 38 im Markte, die übrigen 44 im Pfarrsprengel zerstreut waren. Die 33 alten Bürgershäuser waren von Robot und Robotgeld befreit, die fünf in jüngerer Zeit neu hinzugekommenen zahlten mit den 44 nichtbürgerlichen Anwesen insgesamt jährlich 348 Gulden, 22 Kronen Robotgeld. Eine weitere Entlastung der Haager Pfarruntertanen ergab sich im Jahre 1817, als Kanonikus Perschi in St. Pölten durch eine Stiftung die pfarrherrschaftlichen Inwohner von der Winkelsteuer und dem Anschirmgeld befreite.
Wir dürfen es Pany nicht verübeln, wenn die zehn Jahre seiner Haager Tätigkeit nicht sehr große Spuren hinterlassen haben. Den Pfarrhof und die Kirche übernahm er wohlgeordnet. Was hätte er hier neu einrichten sollen? Dazu war das Geld bedeutend knapper geworden. Dennoch hat er die beiden Seitenspaliere vom Hochaltar angeschafft, zwei große Monstranzen gekauft und das Heilige Grab aufrichten lassen.
Gottfried von Dreger als Pfarrer
Am 24. April 1824 folgte ihm Gottfried von Dreger im Amte nach. Er war bisher Pfarrer und Dechant in Waidhofen an der Ybbs gewesen. Als eifriger Prediger liebte er kirchliche Feierlichkeiten mit großem Pomp, war sehr gastfreundlich und gesellig, insofern also ein typischer Vertreter seiner geruhsamen Biedermeierzeit, Obwohl er nur acht Jahre in Haag wirkte - er ist am 8. April 1833 gestorben - zeichnete er sich doch durch bauliche Tätigkeit aus. Er verschönerte zunächst den Pfarrhof, ließ neue Türen und neue Böden machen, die Zimmer im hinteren Trakt ausmalen. Die eisernen Türen hat Pfarrer Sebastian Reichhardt allerdings wiederum wegräumen lassen. Dreger ließ überdies ein Bürgerspital errichten, das Gebäude Nr. 80 der alten Konskriptionsnummer, das von 1849 bis 1879 als Bezirksamt (später Bezirksgericht, heute Wiener Straße Nr. 14) verwendet wurde. Dieser Bau bereitete ihm viel Mühe.
Die Herrschaft Salaberg wollte ihm nicht nachstehen und erbaute deshalb das Salaberger Spital im Jahre 1837 (alte Hausnummer 81, heute Linzer Straße 13).
Gottfried von Dreger war auch schriftstellerisch tätig und verfasste die Beschreibung einer Pilgerreise „ad limina Apostolorum" nach Rom, die er selber durchgeführt hatte; sein Porträt befindet sich im Pfarrhof und zeigt neben ihm eine Anverwandte und die beiden Kooperatoren Amon und Luca. Als er starb, hinterließ er ein bedeutendes Vermögen seinem Neffen Gottfried von Dreger, Skriptor an der k. k. Hofbibliothek, der das Geschenk annahm, ohne eine jährliche Messe zu stiften.
Pfarrer Schabl
Ein Sohn der Stadt Waidhofen an der Ybbs, Kaspar Schabl, früher Professor des Bibelstudiums in St. Pölten und dann von 1822 bis 1833 Pfarrer in Behamberg, erhielt nun mit 27. 8. 1833 die Investitur auf die Pfarre Haag, wo er bis zu seinem Tode am 7. Juli 1850 blieb. Nach einer Aufzeichnung anlässlich seines Amtsantrittes befanden sich 1833 im Kirchturme zu Haag vier Glocken, die erste mit 23 Zentnern, die zweite mit 10 Zentnern und 90 Pfund, die dritte mit 6 Zentnern, die vierte mit 2 Zentnern und 80 Pfund; endlich hatte die Kirche auch noch ein kleines Zügenglöckchen, das beim Ableben eines Pfarrkindes geläutet wurde. Mit geringem Erfolg bewirkte Pfarrer Schabl eine Restaurierung des Kircheninneren und auch die unter ihm erbaute Friedhofskapelle (1846147) ist nach heutigem Stilempfinden etwas verfehlt; schon Sebastian Reichhardt urteilte über sie, dass sie eher einem Badehäuschen ähnlich sähe. Die Friedhofskapelle wurde 1848 von Bischof Buchmayer aus St. Pölten geweiht. (Die Totenkammer im Friedhofe wurde 1862 von der Gemeinde erbaut, die Friedhofskapelle selbst 1892 restauriert, mit einem Turmhelm aus Zink und mit einer Glocke versehen, der mit der Meßlizenz ausgestattete Altar renoviert und bemalte Glasfenster eingesetzt.
Zur Zeit, als Pfarrer Schabl in Haag wirkte, begann sich manches in den sittlichen und religiösen Verhältnissen des Volkes zum Schlechteren zu wenden, worüber die Pfarrchronik gerne schweigt. Nur ab und zu ein Satz, eine Bemerkung, lassen blitzartig aufleuchten, dass die allgemeinen Zeiterscheinungen auch an Haag nicht spurlos vorübergingen.
Ein solches allgemeines Übel war der unbefriedigende Schulbesuch, gegen den die rücksichtslose Anzeige bei der Ortsobrigkeit durch die Diözesankurrende vom 28. April 1832 empfohlen wurde. Andererseits waren damals auch die Lehrpersonen keineswegs für die Pflege der ihr anvertrauten Jugend geeignet. Die Lehrer für die Haager Volksschule waren an den Hauptschulen zu Krems, St. Pölten oder Horn herangebildet worden und hatten dort vielfach nur einen dreimonatigen Kurs besucht, was uns Heutigen bei der gewohnt guten Lehrerausbildung völlig unwahrscheinlich erscheint. Erst am 12. Mai 1832 wurde die Lehrerausbildung auf sechs Monate verlängert. Eine besondere Verlockung, diesen Beruf zu ergreifen, lag neben der leicht erreichbaren Qualifikation für den Lehrberuf auch in der Tatsache begründet, dass Lehramtskandidaten vom Militärdienste befreit waren. Der Ortspfarrer hatte zwar die Aufsicht über das örtliche Schulwesen, in keiner Weise aber die Möglichkeit, diese Übelstände abzuschaffen, unter denen er selber am meisten litt. Es waren nicht immer die edelsten und unternehmungsfreudigsten, nicht immer die wertvollsten Personen, die sich zu diesem Berufe drängten und dann jahrelangen Einfluss auf die Jugend und das künftige Volk einer Pfarre ausübten. Heuchlerische Unterwürfigkeit gegenüber dem Pfarrer als dem Brotherrn und geheimes Aufmucken gegen die verschiedenartige Beanspruchung als Mesner, Organist und Kirchendiener kennzeichneten so manchen Angehörigen eines Standes, der im großen und ganzen beim Volk damals keine sehr große Achtung fand.
Liberalismus
Die eigentlichen Honoratioren in den Landgemeinden, die Beamten der Herrschaft, des Marktes und die angesehenen Ratsbürger neigten immer mehr dem Liberalismus zu, und die Lehrer wollten es dieser „vornehmen Schichte" gleichtun, in der falschen Meinung, sich dadurch Achtung zu erwerben. Es gab so manchen auch in Haag, der sich über Beichte, Fasten und Kirchenbesuch lustig zu machen begann. Mit der ablehnenden Stellung gegenüber der Kirche war bei den gebildeten Ständen vielfach auch die Ablehnung des ganzen durch Metternich geleiteten Regierungssystems verbunden.
Findelkinder
Das Bauernvolk selbst litt unter der geringen Bildung, die ihm durch die Schule zuteil wurde. Einmal zu Burschen herangewachsen, gewöhnte sich die männliche Jugend frühzeitig an den Besuch der Wirtshäuser, die an Sonn- und Feiertagen auch während des Gottesdienstes immer mehr und mehr geöffnet blieben. Das lange Tanzen bis in den Morgen hinein und am nächsten Tag und in der nächsten Nacht weiter, die damit verbundene Nachtschwärmerei, die steigende Zahl der unehelichen Kinder wurden von seiten des Pfarrers ohne viel Erfolg bekämpft. Schließlich nahmen die Findelanstalten jedes uneheliche Kind, ohne viel nach dem Namen des Vaters oder nicht einmal nach dem der Mutter zu fragen, die Mutter des unehelichen Kindes hingegen verlangte von ihrem Dienstherrn bessere Behandlung und Arbeitserleichterung, so dass die Ausschweifungen eigentlich nur Vorteile brachten.
Die eben angeführten Zustände gelten für das ganze niederösterreichische Land; Haag hat sich im Vergleich zu anderen Orten ziemlich gut gehalten, zumindest, was den Kirchenbesuch, die Wallfahrtsteilnahme und die allgemeine Frömmigkeit anging. (Die Zahl der unehelichen Kinder begann, wie bereits angeführt, auch hier sehr zu steigen.) Diebstähle kamen außerordentlich selten vor und erregten ungeheures Aufsehen im ganzen Pfarrbereich und darüber hinaus. Schuldenmachen, Falschheit und jede Form des Betruges galten als arge Vergehen und Verbrechen, während Vergehen gegen das sechste Gebot kaum der Erwähnung wert befunden wurden.
Revolution 1848
Unter der Bauernschaft herrschte keine eigentliche revolutionäre Stimmung. Sie war im Gegenteil froh, da so manche unliebsame Bestimmung der josephinischen Ära (wie die Wallfahrtsverbote und andere dem Brauchtum widersprechende Maßnahmen) fallen gelassen wurden. Daher blieb es in Haag ziemlich ruhig, als der zündende Funke der Revolution von Paris in den Märztagen des Jahres 1848 in Wien zur Flamme emporloderte. In den Städten, wie in Waidhofen an der Ybbs und in Steyr, kam es zur Aufstellung einer Nationalgarde und zur Verstärkung des Bürgerkorps durch Freiwillige, und von dort her, vor allem von Steyr, wurde auch die Beunruhigung teilweise nach Haag getragen. Das Steyrer Proletariat drohte, Haag heimzusuchen und den Dechantshof zu plündern. „Manche Schreier von hier", schreibt der Pfarrchronist, „nahmen den Mund recht voll" und hielten Zusammenkünfte ohne besonderen Belang. Die Schullehrer machten eine Ausnahme, sie glaubten, „sich von der Tyrannei der Kirche emanzipieren zu können, den Mesnerdienst auf den Nagel zu hängen und mit 1000 Gulden Anstellung als große Herren und alleinige Beherrscher der Schule frei schalten und walten zu können". Sie hielten in Haag „Conventikel" (Zusammenkünfte) ab und richteten Petitionen an den Reichstag. „Die Hoffnungen zerplatzten", erzählt der Pfarrer weiter, „und nun müssen sie wieder wie früher die Kerzen am Altare anzünden und die Priester in der Sakristei ankleiden. „Es wird übrigens nicht leicht einen Pfarrer geben, der es bedauern würde, wenn die Schulmeister des Mesnerdienstes enthoben würden. Diese Stellungnahme des Pfarrers zeigt deutlich den schweren Stand, den er mit seiner Haager Lehrerschaft hatte.
Bauernbefreiung
Das entscheidende Ergebnis des Revolutionsjahres 1848 war gewiss die Aufhebung der Grundherrschaften und die damit verbundenen Umwälzung auf dem Gebiete der Verwaltung und in der Stellung der Bauernschaft. Zunächst wurden mit Patent vom 11. April 1848 alle auf Grund und Boden lastenden Naturalabgaben vom 1. November 1848 an als ablösbar erklärt. Am 7. September stellte der schlesische Bauernsohn Hans Kudlich, das jüngste Mitglied des Reichstages, den Antrag, das bisherige Untertänigkeitsverhältnis ganz aufzulösen. Diesem Antrage wurde stattgegeben und damit wurde für die Bauernschaft eine völlig neue Lage geschaffen. Freilich hatten die Bauern mit der Erreichung eines so großen Zieles, an das sie kaum zu denken wagten, jedes weitere Interesse an der Revolution verloren. Wichtig war nun bloß mehr die Frage der Ablösung, denn ganz ohne Entschädigung konnten die Grundherren, das sind in Haag die Grafen auf Salaberg, die Herren zu Rohrbach und der Pfarrer selbst, auch nicht auf ihre alten Rechte, auf Zehent und Robot, verzichten. Bereits im März 1849 erschien ein kaiserliches Patent, durch das die Modalitäten der Zehententschädigung festgesetzt wurden, aber die schwierigen Verhandlungen über diesen Gegenstand setzten sich bis in das Jahr 1853 fort. Damals begann die "Grundentlastungskommission" in Haag ihre Arbeiten; sie legte einen sehr geringen Prozentsatz dem Bauernstande als Entschädigung auf, wenn man bedenkt, dass nun aller Grund und Boden, den bisher der Bauer von seinem Grundherrn als Lehen getragen hatte, in sein völlig freies Eigentum überging und er niemandem dafür mehr zu zinsen hatte. Den Grundherren verblieben nur mehr jene Äcker, Felder und Wälder, die sie seit jeher nicht den Bauern zur Bearbeitung übergeben hatten, sondern selbst mit ihrem eigenen Meierhofe bewirtschafteten: der sogenannte Dominikalbesitz, den sie bis heute unangefochten besitzen.
Grundablöse
Als jährliche Rente an Zehent und Laudemial-Begnügen wurden der Pfarre Haag 2259 Gulden und 30 Kreuzer und die Schuldverschreibung Nr. 1770 auf ein Kapital von 45.190 Gulden zu fünf Prozent Verzinsung mit Datum vom 1. Februar 1855 zugewiesen. Pfarrer Reichhardt meinte hierzu: „Die Kirche Österreichs hat durch die Ablösung einen Schlag erlitten, von dem sie sich nicht mehr wird erholen können. War es doch sehr vorteilhaft, mit dem Erlös des eingegangenen Zehents wirtschaften und bauen zu können. Aber dennoch war auch unser Pfarrer im Grunde genommen mit der nunmehr erfolgten Regelung, mit dem Wegfall aller Zehente sehr wohl einverstanden. Nicht zu Unrecht schrieb ein Pfarrer unserer Diözese: „Gut, dass die Zehentschinderei ein Ende hat. Es blutete einem das Herz, wenn man die armen Bauern sah, wie sie auf dem Markte das Korn metzenweise kauften, um den Zehent ablösen zu können.
Grundablöse, Neuorganisation des Staates
Allerdings erwuchsen durch diese Regelung nun viele neue Probleme. Das Schulwesen, die Fürsorge für Spitäler und andere öffentliche Einrichtungen, die bisher finanziell von den Pfarrern getragen werden konnten und pflichtgemäß getragen werden mussten, waren nunmehr zur Sorge für die Gemeinden und den Staat geworden. Eine völlige Neuorganisation des Staatswesens, um nur ein Beispiel zu nennen, die Errichtung eines Unterrichtsministeriums, der Landesschulräte und Bezirksschulräte, musste erfolgen. Auch die Gemeinden mussten neue Aufgaben übernehmen und völlig neuartig eingerichtet werden. Mit ihren freigewählten Bürgermeistern und Gemeinderäten erlangte nun jede Gemeinde eine neue Ortsobrigkeit, die in vielen Belangen autonom war, d. h. sich selbst die Gesetze geben konnte, in anderen Bereichen aber wieder das unterste Ausführungsorgan der Landesregierung sein musste.
Waren bisher die Herrschaften, für Haag speziell Salaberg, der Sitz der herrschaftlichen Gerichte und mancher Verwaltungszweige, so hatte der Grundherr nun keine Aufgabe für den Staat mehr zu erfüllen, er war Privatmann geworden, für den der Grundsatz des gleichen Rechtes wie für alle anderen galt. Die Zeit, in der der herrschaftliche Pfleger Gerichtsakten schrieb, Militärlisten und Steuerbögen für alle Untertanen führte, war vorüber. Eine Reihe von staatlichen Ämtern trat an seine Stelle. Sie kosteten wieder ein Mehr an Steuern.
Auch dem Bauern war zunächst mit der Auflösung der grundherrschaftlichen Verbände nicht viel geholfen. Die Ablösung brachte ihn oft in wirtschaftliche Bedrängnisse, der Herrschaftsverband - bisher bei Feuer, Hagel und anderen Notständen eine gegenseitige Unterstützung - fehlte und war noch durch nichts Neues ersetzt.
Lage der Bauern
Erst gegen Ende des Jahrhunderts wurden jene Vereinigungen und Zusammenschlüsse geschaffen, die. den Bauern bei Katastrophen in Form einer Versicherungsprämie vor dem Ruine bewahren sollten und die dem ganzen Bauernstande mehr Sicherheit gaben. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war es noch so, dass man einer Bauersfrau Verschwendung zusagte, wenn sie des Morgens zum Frühstück Kaffee bereitete. Alles, was gekauft werden musste, und nicht am Hofe selbst erzeugt werden konnte, galt als arger Luxus; denn Sparen war das oberste Gebot und teuer hat sich der Bauer seine Freiheit erkauft. In vielen ärmeren Gegenden wurde ja der vom Untertanenverband befreite Bauer das Opfer beutegieriger Hofspekulanten, die nach dem wirtschaftlichen Untergang eines Hauses Hof und Äcker aufkauften. Auf dem so reich gesegneten Haager Boden konnten sie nicht viel hoffen.
So bringt eben jeder Obergang von einer Wirtschafts- und Verwaltungsform zur anderen für den ersten Augenblick seine besonderen Schmerzen, die Geburtswehen einer neuen Zeit. dass sie für Österreich angebrochen war, wurde auch in Haag deutlich sichtbar.
Gerichtswesen
Der Schlossherr auf Salaberg, der bisher das Gericht über seine Untertanen ausübte, musste von der Bühne des Gerichtswesens abtreten. Aber auch für die moderne Rechtssprechung und in der neuen Gerichtsverfassung sollte Haag der Mittelpunkt des Ennswaldgebietes bleiben. Für die Ortsgemeinden Behamberg, Erla, Ernsthofen, Haag, Haidershofen, St. Pantaleon, Strengberg und St. Valentin wurde am 1. Juli 1850 das k. k. Bezirksgericht (damals noch Bezirksamt) Haag geschaffen, mit einem Juristen als öffentlichem Richter an der Spitze.
Der Gerichtssprengel hatte zur Zeit seiner Errichtung 230 Einzelortschaften (Gehöftegruppen) mit 14.950 Einwohnern. Zur Ausübung der Gerichtsgeschäfte wurde von der Marktgemeinde Haag das ihr gehörige, bis dahin als Bürgerspital benützte. Gebäude Nr. 80 bereitgestellt und dem Staate vermietet; zugleich wurde dem Hause ein zweiter Stock aufgebaut. Seit dem Jahre 1849 ist Haag auch Sitz eines k. k. Steuer- und Depositenamtes und einer Finanzwachabteilung gewesen.