Haus-Chroniken von Haag

Nach Katastralgemeinden - von damals bis heute

LAND UND LEUTE

Land und Leute wollen sich zuerst einmal vorstellen! Im westlichsten Teil des Bundeslandes Niederösterreich, im Bezirke Amstetten, auf dem alten Siedelboden des Alpenvorlandes erhebt sich auf einem von der Enns einst gebildeten Hügel die heutige Stadt Haag, an die Kirche gelehnt, die vor mehr als 900 Jahren zum Ausgangspunkt einer größeren Siedlung wurde. Hier, zwischen dem Einflussgebiet der Lobbys und dem Unterlauf der Enns, erstreckte sich vor mehr als einem Jahrtausend der Ennswald.

Der Ennswald

Nicht undurchdringlich, aber auch nur dünn besiedelt, zwang er die Völkerscharen, die südlich der Donau gegen Enns zu das Alpenvorland durchzogen, nordwärts auszuweichen und über die Strengberge an Haags Gebiet vorbeizuwandern. Erst die sesshafte Bevölkerung des Bayernstammes unternahm es, von der Waldrandzone aus südwärts zu kolonisieren und das eigentliche Haager Gebiet zu erschließen.

So wurde Haag zum Bauernlande. Der fruchtbare Boden und das Hügelgelände (zwischen 350 und 420 m Seehöhe) boten die besten Voraussetzungen für die Entstehung stattlicher Bauernhöfe, die, als Einzelsiedlung oder in kleineren Weilern zusammengefasst, dem Wanderer gastliche Rast, dem Auge ein erquickendes Bild bieten.

Das Land

Schön ist dieses Land zwischen Amstetten und Enns im Frühjahre, wenn die Obstbaumblüte mit ihrem weißen Kleid das Grün der Wälder und Wiesen belebt. Schön und ernst wirkt der Sommer, wenn die gelben Kornfelder im Winde wogen, die Wiesen zur zweiten Heuernte reifen, und bunt und farbenprächtig leuchten in der klaren und milden Herbstluft die Baumkronen auf den Hügeln und Bodenwellen. Schlicht ist das Land und voll unaufdringlichem Reiz, im Süden gesäumt von den aufragenden Ausläufern der Alpen, deren schneeige Gipfel den nahenden Winter Jahr für Jahr erneut ankünden.

Zwischen den kurzen, welligen Erhebungen laufen nur kleine Bäche und Rinnsale, teils in südöstlicher Richtung der Treffling und Url zu, die beide Nebenflüsse der Lobbys darstellen, zum größeren Teil aber nach Nordwesten in die Erla; das größte dieser Gewässer ist der Haager Bach, der den Kirchenhügel im Norden umfließt und sich in seinem Laufe immer munter gegen Oberösterreich zu bewegt. Die Haager sagen deshalb, dass ihr Wasser aufwärts rinne, und verzeichnen dies als das eine Merkmal ihres Ortes. Das zweite gründet in der Geschichte. Wie in der Streusiedlung jeder Hof allein dasteht, umgeben von seinen dazugehörenden Feldern, Wäldern und Wiesen (Blockflur), so haben es auch die Häuser des Marktes durch alle Jahrhunderte hindurch gehalten: sie wollen allein stehen, sich an kein anderes anlehnen. „ Jedes Haus in Haag ist ein Eckhaus", heißt es nicht unbegründet.

Eigentümlichkeiten Haags

Volksschlagmäßig sind die Einwohner des westlichen niederösterreichischen Alpenvorlandes nicht von denen des „St. Florianer Landels" zu sondern. Für Mundart und Brauchtum ist die Grenze zwischen Nieder- und Oberösterreich, die durch den Unterlauf der Enns gebildet wird, einfach nicht vorhanden. Nur ganz feine Ohren bemerken einige lokale Unterschiede. König Ottokar von Böhmen, der von 1251 bis 1276 unser Land beherrschte, hat daher recht getan, wenn er das Land ob der Enns und das unter der Enns bis zur Lobbys verwaltungsmäßig zu einer Einheit zusammenschloss und sie „Oberes Osterreich", „Austria superior", nannte. Diese politische Einteilung erhielt sich bis in die Zeit Friedrichs III. (1440- 1493) und wirkte in der Zugehörigkeit Haags zum Ennser Landgerichtssprengel, kirchlich zum Lorcher Dekanat weiter.

Der Volksschlag

Von Amstetten bis zur Welser Heide zeigt das Brauchtum der Voralpenbevölkerung so viele gemeinsame Züge, dass wir es als eine Arteigenheit eines österreichischen Volksschlages bezeichnen dürfen. Dabei ist aber das Brauchtum im weitesten Sinne gemeint, das sich nicht bloß auf die Erscheinungsformen des Brauchlebens im Jahres- und Lebenslauf erstreckt, sondern auch alle anderen Gebiete des Volkslebens, wie Siedel- und Hausformen (Vierkanthof), Tracht und Schmuck (Linzer, Steyrer, Ennser Goldhauben in Haag), Volkslied und Volkstanz, die Volkskunst und alle Äußerungen einer volkshaften Gemeinschaftskultur umfasst Dies erklärt sich wohl aus der gemeinsamen Geschichte: Nach Zibermayr soll ja der wandernde Bayernstamm hier, zwischen Traun und Lobbys, rund um die Stadt Lorch, sein erstes siedlungsmäßiges Kerngebiet gehabt haben. Und in späteren Zeiten, so unter Herzog Tassilo III., nach dem Sieg Karls des Großen über die Awaren und ein drittes Mal nach der Lechfeldschlacht (955) kam der Nachschub der Siedler aus der Traungegend ins Haager Land. Selbst im 12. und 13. Jahrhundert noch hatten die meisten Ritter der Hofmark Haag ihre Stammburg, von der ihr Zweig ausgegangen war, in Oberösterreich, zwischen Wels, Steyr und St. Florian. Und heute ist das Welser Volksfest einer der stärksten Anziehungspunkte für unsere bürgerliche wie bäuerliche Bevölkerung; ja selbst, wer das Bedürfnis hat, in einer größeren Stadt einzukaufen, wendet sich gleichfalls dem Westen zu, den Städten Steyr und Linz.

Die Enns als dünne Scheidewand

Und doch ist Haags Bevölkerung auch wiederum anders. Da und dort begegnet uns eine Siedlung in Dorfform, den fränkischen Einfluss verratend, unter dem Haag vom Jahre 1014 an als eine Hofmark des Bischofs von Bamberg gestanden ist.

Seit den letzten zwei Weltkriegen ist freilich östlich der Enns ein stärkeres Abflauen zäh bewahrter Brauchformen wahrzunehmen. Vielleicht am stärksten und auffallendsten macht sich die Entwicklung in dem Aufhören der nach Rotten (Ruden) gegliederten Burschenverbände östlich von St. Valentin bemerkbar. Eine dünne Scheidewand zwischen West und Ost errichtete auch immer wieder das Schicksal, das die Enns zur Grenze aller aus dem Osten kommenden Einfälle werden ließ: so zur Zeit der Magyaren um 900, beim Vormarsch des Ungarkönigs Matthias Corvinus (1485) und in jüngster Zeit durch die Abgrenzung der russischen von der amerikanischen Besatzungszone längs der Enns (1945-1955).

Der Bauer ist der tonangebende Faktor in der Geschichte des Haager Landes und selbst in der Entwicklung des Marktes und der späteren Stadt Haag. Aus Bauernmark gleichsam hervorgegangen, ist diese Stadt der wirtschaftliche Mittelpunkt ihrer bäuerlichen Umwelt. Nach wie vor reicht die vollkommenste Form des Bauerngehöftes, der Vierkanter, in die geschlossene Stadtsiedlung hinein, und die Landwirtschaft bildet heute wie vor einem Jahrtausend die Hauptquelle der Verbrauchs- und Erwerbswirtschaft. Auch Gewerbe und Handwerk sind hier abhängig von den Bedingungen des Bodens, so etwa die jahrhundertelang blühende Weberei vom Hanf- und Flachsbau, und das Hafnergewerbe wiederum von den mächtigen Tonlagern im Boden von Haag, die heute der Ziegelerzeugung dienen.

Haag von Süden nach Norden gesehen - Die Vierkanter reichen bis in die Stadt.
Die neue Siedlung im Süden der Stadt.

Die Geschichte des Bauernlandes ist daher niemals zu trennen von der Geschichte der Kirchensiedlung, des geschlossenen Marktwesens. Als die Bauern im Aufstand des „Haager Bundes" marschierten, taten die Bürger mit. Und was der Jahresablauf dem Bauern brachte, bewegte auch jeden Bürger und Inwohner im Markte. Ähnlich ist es auch heute noch, die Erhebung Haags zur Stadt (1932) tat hierin keinen Abbruch.

Brauchtum im Jahreslauf

Zu Kathrini wird Abschied vom scheidenden Kirchenjahr genommen. Abwechselnd im Gasthause Reitter oder Forstmayr findet sich das Volk zum Kathrinitanz ein. In der Adventzeit bäckt die Bauersfrau und jede andere Hauswirtin das schmackhafte Kletzenbrot, ein Früchtebrot, hauptsächlich aus gedörrten Zwetschgen bestehend. Am St.-Barbara-Tag werden Kirschenzweiglein abgeschnitten und im warmen Zimmer ins Wasser gestellt. Bis Weihnachten sollen sie blühen, das ist gute Vorbedeutung fürs kommende Jahr; am Ende heiratet gar die Tochter des Hauses.

In den letzten Tagen vor dem Christfest werden jetzt wieder mehr die Krippen aufgestellt und beachtet. Kommt die Familie und das Hausgesinde am Heiligen Abend nach der Mette heim, dann werden sie zum stärkenden „Krenfleisch" oder auch zum „Bratwürstel" eingeladen. Selbst das Vieh soll es in dieser heiligen Zeit gut haben: am Weihnachtstag bekommt es in einigen Häusern noch einen „Knödelsterz"; und auch der Toten wird gedacht, an ihre Gräber werden Christbäume gestellt; allerdings ist dies kein alter bäuerlicher Brauch, sondern mehr eine Sache der Stadtleute. Vom Turme aber erschallt in der Weihnacht der Chor der Bläser, in der Neujahrsnacht ertönen Böllerschüsse.

Das Dreikönigs- und Sternsingen, das beinahe schon abgekommen war, erfährt zur Zeit wieder seine Belebung, ähnlich wie auch die Faschingszüge von Haus zu Haus sich wieder mehr einbürgern.

Zu Lichtmeß müssen die Dienstboten seit altersher wandern, wenn sie aufgekündigt haben, was meist schon zu Allerheiligen geschieht. Eine große Freude für jung und alt stellt dann im Fasching das „Gasselfahren" dar, eine Schlittenfahrt mit einem vorgespannten Rosse. Schmilzt der Schnee, beginnt bald darauf das Suchen nach Palmbuschen, aufblühenden Weidenzweigen, die für die Prozession am Palmsonntag benötigt werden. Wenn dann am Gründonnerstag die Kirchenglocken „nach Rom geflogen" sind und ihre metallene Stimme schweigt, müssen die Ministrantenbuben „ratschen" gehen; und schon beginnt die Suche nach den Ostereiern, den roten, blauen und buntgefärbten, die in den grünenden Wiesen zwischen dem neuen Gras lustig hervorgucken.

Wer ein Taufkind hat und Göd oder Gödin (Pate oder Patin) ist, muss sich für Ostern ein großes Osterkipfel besorgen, das einen halben Meter im Durchmesser hat. Die „Godenkinder" werden gewiss kommen und es sich holen, wobei sie auch einen guten Schmaus erwarten. Es ist dies ihr „Ahnlsonntag". Fleisch von Lämmern und Kitzerln erinnert die Erwachsenen an das Paschafest des Alten Bundes.

Besondere Gebäcksformen kennt unser Volk überdies noch beim Heimsuchen einer jungen Mutter. Hat sie ein Mädchen zur Welt gebracht, dann musst du ihr ein großes Kipfel, hat sie einen Buben, dann einen stattlichen geflochtenen Striezel bringen! Dies sind wohl noch Überreste aus der heidnischen Zeit und ihrem Geschlechtskult.

Aber das Christentum hat alles, was Natur, Fruchtbarkeit, Erde und Boden bedeutet, seit Jahrhunderten mit göttlichem Segen überschüttet. Am 24. April wird die Erde geweiht; es ist Georgitag Kirchweih (Kirmeß) in Haag; nur wird er kaum mehr im alten Umfange gefeiert und ist kein richtiges Haager Fest, nur ein von Klingenbrunn nach Haag verlegter Jahrmarkt. Der Markustag mit seiner Prozession bringt eine neuerliche Segnung des Bodens und seines Wachstums; nun kann den Kindern die feuchte Erde nicht mehr schaden, und sie dürfen barfuß (bloßfüßig) auf den Wiesen laufen und hüpfen.

Am ersten Mai steht der Maibaum mit einem Kränzel an seiner Spitze; noch ist die Hauptarbeit des Bauernjahres nicht angebrochen, noch ist die Zeit der Feste. Zu St. Florian rückt die Feuerwehr zum Kirchgang aus. Haags Schmiede und Binder verehren in gleicher Weise ihren Patron, dessen Statue am Musikchor der Haager Kirche steht, zum Troste die Wasserschale in der Hand haltend.

Zur Sonnenwende (am St.-Johannis-Tag) und zu St. Peter und Paul leuchten vom Gebirge her die Sonnwend- und Petersfeuer; auch Haags Jugend übt den Brauch und setzt im kühnen Sprung über das lodernde Feuer - „Sonnawendkrapfen" duften im Bauernhaus nicht fehlen.

Die Erntezeit naht, die schwere Zeit, in der der Tag um halb vier Uhr beginnt und abends um neun Uhr erst endet. Vielfach arbeiten die Bauern noch in gewohnter Nachbarshilfe, vor allem aber beim Drusch. Für die Schnitterleute gibt es wiederum Krapfen, die „Schnitterkrapfen", zumindest dort, wo der Brauch noch nicht anspruchsvollerem Gastmahl gewichen ist. Wer zuletzt mit dem Schnitte fertig wird - es muss nicht gerade aus Bequemlichkeit sein - wird unbarmherzig mit der „Habergeiß" beehrt, einer ausgestopften Strohpuppe, die die Burschen der Nachbarschaft auf den Dachfirst des Verspotteten stecken.

Im August, beim Schnittertanz in einem Gasthaus, feiern sie alle wieder Versöhnung, der Ausgespottete und die Spötter. Ausgedroschen wird nicht gleich; das Getreide wird erst eingeführt, und oft ist die Sorge groß, es gut und trocken einzubringen; denn das Haager Land ist im Verhältnis zu anderen mitteleuropäischen Landstrichen ziemlich niederschlagsreich. Erst im Spätherbst werden mehrere Haus- und Druschgemeinschaften gebildet; nicht jeder Bauer hat seine eigene Dreschmaschine, wenn auch sonst die Umstellung auf maschinellen Betrieb in der Bauernwirtschaft seit dem Jahre 1948 stark im Gange ist. Das Tanzen und Krapfenessen beim Dreschen, das nur mehr ganz kurz dauert, kommt eigent­lich schon stark ab.

Die schönste Zeit des Jahres beginnt um den Sankt-Michaels-Tag in seltener Bläue erstrahlt um diese Zeit der Himmel, aller Dunst, der so oft über dem schweren Lande liegt, scheint mit beginnendem Herbste weg­gefegt zu sein. Deutlich erheben sich die Berge am Ho­rizont; das Land davor, die Haager Hügelwelt, ist ein einziger Obstgarten, in dem die Äpfel- und Birnenernte allmählich einsetzt. Der „Kirtag" zu St. Michael ist freilich kein sehr umfangreiches Fest (29. September), obwohl der heilige Erzengel unser Kirchenpatron seit Anfang an ist. Vor 80 Jahren noch endeten diese Kir­tage meist mit großen Raufereien, bei denen Blut floss Pfarrer Seeland musste einst mit dem Allerheiligsten die Raufenden auseinander zwingen.

Im Oktober heißt es aufpassen für den, der am Feld­rain und auf Wiesenwegen entlang geht; überall liegen die Mostäpfel und Mostbirnen unter den Bäumen, und da sich die Bäume in langen Zeilen reihen, heißt das, dass man überall auf die unscheinbaren, bitter-sauren Früchte treten, sie zerquatschen und dabei ausrutschen kann. Zum Essen sind diese Gaben der Natur beileibe nicht; in den Mostpressen ausgequetscht, ergeben sie aber zunächst ein süßliches, sehr die Verdauung fördern­des Fruchtgetränk, das auch den Kindern wohlbekommt. Einmal vergoren, weist unser Most geringe Grade Alko­hol auf und ist der Jugend nicht sehr zu empfehlen. Wer jedoch behauptet, dass wir Mostviertler durch den täglichen Genuß unserer Äpfel- und Birnenmoste - besonders im Bauernhaus gehört zu jeder Speise auch der Trunk, der Mostkrug - in unserer geistigen Entwicklung behindert werden, behauptet etwas, was er nicht beweisen kann. Denn gerade, was Schläue und geistige Regsamkeit betrifft, was stilles Sinnieren, Nachdenklichkeit und lebensnahe Weisheit anbelangt, da lässt sich der Mostviertler nicht so leicht schlagen.

Die schönen Tage sind mit Allerheiligen vorbei. Noch einmal schickt die Gödin einen Striezel, den Allerheiligenstriezel, ihrem Patenkinde ins Haus. Die Verpflichtungen des Taufpaten oder der -patin gehen jedoch nicht das ganze Leben hindurch; mit dem Austritt des Kindes aus der Schule werden sie häufig beendet, das „Ausgwanden" (Ausstatten mit einem Gewande) setzt hierin den Schluss.

Die Stadt als Mittelpunkt

Seit einem Jahrhundert geht die Haager Pfarrgemeinde am Nachmittag des Allerheiligentages in geschlossener Prozession zum Friedhof hinaus, wo für die Toten gebetet wird; Kerzenlichtlein im Glassturz werden ihnen an die Gräber gestellt, der ganze Friedhof ist die Nacht hindurch feierlich erleuchtet. Heißt es von einem Toten Abschied nehmen, dann versammeln sich die Anverwandten und Freunde zur Totenzehrung im Gasthause, bei der auch die traditionelle Totensemmel nicht fehlen darf.

So hat alles im Jahresablauf, Geburt und Tod, seinen bestimmten Platz. Die Streusiedlung hat es mit sich gebracht, dass im räumlichen Mittelpunkt und das ist meist die geschlossene Stadtsiedlung die Zusammenkunft der Verwandten erfolgt. Taufmahl, Totenmahl und Hochzeiten werden daher gerne in einem Gasthaus, im Saal oder im Extrazimmer, gehalten. Bei Hochzeiten der größeren Bauern gibt es da oft an die 120 Gäste oder mehr.

Die Tatsache, dass man so selten zusammentrifft, hat auch eine weitere Eigenart der Haager ausgebildet: nach dem Gottesdienste stehen die Leute gerne am Hauptplatz vor der Kirche beisammen, um sich zu besprechen. Sie heißen daher auch die „stehenden Haager", zum Unterschied von den "rennenden Valentinern" und den "schauenden Hannsern" aus St. Johann.

Charakteristik des Haagers

Das Hauptmerkmal in der Charakteristik des Haager Volkes zu treffen, ist jedoch sehr schwer. Der Menschenschlag hier liebt nicht das Auffallende, in die Augen Springende; er geht am liebsten seine Mittelstraße und hat seinen Sinn aufs Praktische, Nächstliegende im Alltag gerichtet. Von politischen Schlagworten lässt sich der Haager Bauer nicht leicht verführen; er hat dies in der Zeit der Bauernaufstände wie in den politischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts deutlich bewiesen. Es ist auch auffallend, dass ganz große Genietaten wie große Verbrechen in Haag nicht zu Tage gebracht werden; jedes außergewöhnliche Verhalten liegt uns eben nicht. Hingegen gab es zu allen Zeiten in Haag viele Talente, viel Freude am Studieren. Aufgeschlossenheit gegenüber der Wissenschaft und eine gewisse Liebe auch zu den Künsten machen Haag heute zu einem guten Boden für Veranstaltungen des Bildungswerkes.

Ausgeglichen wie sein Charakter ist auch die Wirtschaft des Haager Bauern; neben dem Ackerbau erscheint die Viehzucht genau so intensiv betrieben, freilich nicht in der Almwirtschaft, sondern in der Stallfütterung das Jahr hindurch. Fast alle Zweige der bäuerlichen Wirtschaft mit Ausnahme des Weinbaues sind bei uns vertreten.

Auf sein Bauerntum ist der Haager stolz; sein Hof ist ihm wie ein Königssitz, und die Wirtschaften sind auch durchschnittlich groß und sehr ertragreich. Das Vätererbe wird noch hochgehalten und im gesunden Besitzerstolz gepflegt. Daraus leitet sich auch die Vorliebe für alles ab, was einst das Volk von Haag erlebt und erlitten hat, wie sich der Hof vererbte, der Markt und die spätere Stadt wuchs. Wenn auch in jüngeren Zeiten andere Ortschaften unseres politischen Bezirkes über Haag hinausgewachsen sind, so weiß der Haager dennoch von der Bedeutung seiner weiträumigen Gemeinde mit ihrem Flächeninhalt von 54½ Kilometer im Quadrat und ihren rund 4600 Einwohnern.

Haags Rolle in der Geschichte

Und tatsächlich hat Haag auch immer eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Geschichte des oberen nö. Mostviertels gespielt. Von den Zeiten der ersten Kolonisation an ist der Strom der österreichischen Geschichte nie mehr an Haag vorbeigegangen, sondern hat es immer mitberührt. Dadurch wird das lokale Geschehen in diesem Orte zur Geschichte eines fast typischen niederösterreichischen Marktes, ja zur Geschichte eines der älteren Märkte, eines Ausgangspunktes des österreichischen Volkes überhaupt. Bajuwarisch im Kern und im Wesen ist Haag seit seinen ersten Zeiten. Als Österreichs Wiege, die ottonische Markgrafschaft, ihren Namen Ostarichi erhielt, lag Haag schon in Ostarichi, und so hat dieser Ort von Anfang an alles Österreichische mitgefühlt und mitgemacht. Wer den Haager und seinen Stolz auf seine Heimat verstehen will, muss sich in die vieffältigen Schicksale seiner Vergangenheit, einer österreichischen Vergangenheit, vertiefen.

Die seitlichen Fenster beim Vierkanthof sind kleiner, um die "Zimmersteuer" zu sparen (Braunsberg).
Haager Tracht mit Goldhaube.